Beratungszwang für Embryos?

Nach dem Ende der Beratungen über den Paragraphen 218 überwiegt bei den ReformerInnen Skepsis/ Das Gericht wird frühestens im Februar nächsten Jahres entscheiden  ■ Aus Karlsruhe Karin Flothmann

Grau war die vorherrschende Farbe im Karlsruher Gerichtssaal, auch noch kurz vor Mitternacht, als am Mittwoch die zweitägige Verhandlung um das neue Abtreibungsrecht zu Ende ging. Nur das purpurne Rot der acht Richterroben stach deutlich aus dem Anzugsgrau hervor. Einige versprengte Jurastudenten in Schlips und Kragen hatten bis zum Schluß ausgeharrt.

Ausgeharrt hatten natürlich auch die ProzeßvertreterInnen: Links vom Richtertisch aus gesehen die AntragstellerInnen der Normenkontrollklagen gegen die neue Fristenregelung mit Beratungspflicht: 19 Männer und ganze vier Frauen. Auf der Gegenseite, sozusagen auf der Anklagebank, die VertreterInnen von Bundestagsmehrheit und sozialdemokratischen Ländern: Hier waren immerhin 13 Männer und 13 Frauen angetreten, um das neue Abtreibungsrecht zu verteidigen.

Fernab von jeder Alltagsrealität, fernab von jeglicher Praxis wurde zwei Tage lang auf Paragraphen herumgeritten, wurde jedes Detail der neuen Abtreibungsregelung und der bisher im Westen noch gültigen sozialen Indikation in Frage gestellt. Die Abgeordneten Uta Würfel (FDP) und Inge Wettig-Danielmeier (SPD) hatten es nicht leicht, sich bei so viel juristischer Spitzfindigkeit Gehör zu verschaffen. Die beiden Hauptinitiatorinnen der neuen Fristenregelung schalteten sich immer wieder ins Verhandlungsgeschehen ein, mahnten und appellierten an das Gericht, versuchten den Roten Roben die Augen für die Lebensrealität schwangerer Frauen zu öffnen.

Ob Alltagserfahrung und Praxis durch die Befragung von verschiedenen Beraterinnen aus der Schwangerschaftskonfliktberatung in den Gerichtssaal Eingang fanden, blieb gleichwohl fraglich. Immerhin lauschten die Karlsruher RichterInnen mit großer Aufmerksamkeit den Schilderungen von Angelika Dornhöfer, Mitarbeiterin der evangelischen Beratungsstelle Bremen.

Doch auch die Gegenseite hatte mobilisiert. Nachdem schon der von der CSU beauftrage Gutachter Martin Kriele, Mitglied der Juristen-Vereinigung Lebensrecht (JVL), die Beratungspraxis von Pro Familia diskreditierte, ließ es sich die Ärztin Irene Schlingensiepen-Brysch nicht nehmen, gegen diese Beratungseinrichtung zu polemisieren. Und das, obwohl der Vorsitzende Richter Ernst-Gottfried Mahrenholz schon am Vortag mit dem Prozeßvertreter der Union, Peter Lerche (JVL- Mitglied), klargestellt hatte, daß im Gerichtssaal „keine offene Feldschlacht gegen Pro Familia“ stattfinden sollte.

Im Fall der Beratung schien sich das Gericht doch an die Mahnung des Vertreters der Bundestagsmehrheit, Erhard Denninger, halten zu wollen, der darauf verwies, das Grundgesetz sei „keine Prüfungsordnung für Schwangerenberatung“. Massiver hingegen die Äußerungen, die im Umfeld der Krankenkassenfinanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen fielen. So betonte Udo Steiner (JVL- Mitglied), er halte die Kassenfinanzierung „für ein tödliches Mißverständnis“. Und Verfassungsrichter Klaus Winter sah in der Kassenfinanzierung von Abtreibungen eine Parallele zu „Drogen und Alkohol auf Krankenschein“.

Kurz vor Mitternacht machte sich auf den Gängen vor dem Gerichtssaal unter den BefürworterInnen der Fristenregelung nur noch Sarkasmus breit. Längst wurde über einen möglichen Beratungszwang des Embryos gefrotzelt. Die Stimmung war eher resignativ. Kaum jemand rechnete mit einer generellen Ablehnung der Fristenregelung mit Beratungspflicht. Doch das Bundesverfassungsgericht wird den Gesetzgeber sicher mit Nachbesserungen beauftragen. Und diese könnten bis hin zur strikten Qualitätskontrolle von BeraterInnen und ÄrztInnen bis hin zur Nichtfinanzierung des Schwangerschaftsabbruchs durch die Krankenkassen reichen.

Die sieben Richter plus Richterin ziehen sich in den nächsten Wochen zur Beratung zurück. Mit einem Urteilsspruch wird frühestens im Februar nächsten Jahres gerechnet. Bis dahin bleibt zunächst das alte Recht von Ost und West in Kraft, gegebenenfalls verlängern die Karlsruher ihre einstweilige Anordnung, die vorerst nur bis Januar gültig ist.

Es sei denn, Bayern hat längst eine weitere Klage in der Schublade, mit der der Freistaat ostdeutschen Frauen doch noch übergangsweise die westliche Indikationsregelung überstülpen will. Eine klare Stellungnahme zu den bayerischen Plänen wollte die bayerische Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner jedoch nicht abgeben.