: Den grausamen Galan vertollschockt
■ Music Theatre begeisterte mit einer 90er-Jahre-Musical-Version von Mozarts 'Don Giovanni–in den Kammerspielen
begeisterte mit einer 90er-Jahre-Musical-Version von Mozarts Don Giovanni in den Kammerspielen
Regisseur Nick Broadhurst kennt das polarisierte Dilemma seiner Branche: „Sänger sind in aller Regel schlechte Schauspieler und Schauspieler können meistens nicht singen.“ Anders als ein Robert Wilson, den diese Feststellung dazu gebracht hat, den Charakter auf der Bühne zu eliminieren, ist Broadhurst auf die Suche nach jenen „höchstens fünfzig Personen im ganzen Königreich“ gegangen, die beide Genres beherrschen, um seine Vision von Mozart-Opern als Musical zu verwirklichen. Daß er in der reichen englischen Musical- Szene tatsächlich fündig geworden ist, trägt entscheidend dazu bei, daß seine massentaugliche Transformation von Don Giovanni, die erste von zwei Gastspielpremieren in den Kammerspielen, dort frenetisch bejubelt wurde.
Broadhursts Kunstgriffe sind schlicht, aber eindringlich. Er verlegt die Geschichte des geschlechtlich unersättlichen Sexisten, der skrupellos Frauen verführt und vergewaltigt, ins Londoner Yuppie-Milieu. Don Giovanni verwandelt er in eine Brooker-Type mit kokainierter Siegessicherheit, sein Hiwi Leporello wirkt wie ein freundliches Echo auf Clockwork Orange, die geschändete Anna ist unverkennbar Lady Di und ihr Ehegatte Ottavio erscheint als John Cleese.
Hundert Prozent britisch ist auch der Humor, mit dem das neugefaßte Orginal-Libretto von Lorenzo da Ponte verjüngt und inszeniert wurde. Perfekt beherrschter Klamauk, trocken dargebracht, verleiht der tragischen Geschichte eine ungebremste, temporeiche Heiterkeit. Sei es, wenn sich Ottavio (William Relton) plötzlich als verhinderter Heldentenor produziert oder Don Giovanni (Gerard Casey) seine triefenden Liebeslügen absondert, Nick Broadhursts Händchen für den sicheren Lacher versagt selten den Dienst.
In dem variablen Bühnenbild, dessen etwas geschmacklose Ausführung auch vom Chefdesigner der neuen Bundesbahn hätte stammen können, blieb das achtköpfige Ensemble über knapp drei Stunden keine Kurzweil schuldig. Bis zum Auftritt des steinernen Gastes und der Höllenfahrt des Don Giovanni erfüllten sie beinahe ohne Requisiten den Bühnenraum lediglich mit Sein, Spiel und Singen. Stimmlich überzeugten vor allem Jill Washington (Anna), Gaynor Miles (Elvira), Gerard Casey (Geist) und William Relton (Ottavio), doch gab es beinahe keinen Part ohne Glanz.
1Die kammermusikalische Übersetzung der Musik in ein sechsköpfiges Orchester gelingt, bis auf den etwas störenden Einsatz von Synthesizer-Klängen, so sicher, daß
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8man nach einer kurzen Gewöhnungsphase keinerlei Entzugserscheinungen bekommt.
Diese Volksversion der großen Oper dürfte also für alle Musical-
1Genießer eine sichere Bank bedeuten. Mit Die Hochzeit des Figaro folgt am kommenden Donnerstag die zweite Gastspielpremiere des Music Theatre London. Till Briegleb
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