Opposition im Taschenbuchformat

■ Prima Klima für den SPD-Senat: CDU, GAL und FDP machen das Regieren leicht / Auch die Rechtsradikalen können profitieren / Von Uli Exner

1å Meyers großes Taschenlexikon setzt die Maßstäbe für die am Montag in der Bürgerschaft beginnende dreitägige Haushaltsdebatte. Sie soll, nach den ungeschriebenen Regeln des Parlamentarismus, die „Stunde der Opposition“ sein. Es wird anders kommen.

Zu besichtigen sein wird statt dessen eine Hamburger Opposition, die ihre Kritik- und Kontrollfunktion weitgehend den Medien überlassen hat. Zu besichtigen sein werden drei Oppositionsparteien, die es in den ersten eineinhalb Jahren der Legislaturperiode nicht geschafft haben, sachliche oder personelle Alternativen auch nur ansatzweise zu entwickeln. Eine Opposition, die nicht im mindesten den Anschein erweckt, sie wolle die „ewige“ Herrschaft der Sozialdemokratie an der Elbe beenden. Die Haushaltsdebatte, so wortgewaltig sie sich im Detail auch gestalten mag, wird daran nichts ändern.

Dabei hätte der Fehlstart des Voscherau-Senats in die zweite Amtsperiode furioser kaum sein können. Diätenskandal, Kompetenzstreit, vorzeitige Aufgabe der im Regierungsprogramm festgeschriebenen Zielvorgabe Stadtentwicklung aus einem Guß, eine Verwaltungsreform, deren Scheitern durch die von der SPD anvisierte Zweiteilung kaum noch verhüllt wird. Statt großer Würfe planloses Vor-sich-hin-Regieren und planvolles Umschiffen der strukturellen Metropolen-Probleme, die sich in der sozialen Spaltung der Stadt ebenso deutlich dokumentieren wie im täglichen Verkehrsinfarkt. Eine Bilanz, die Hamburgs Wähler gera-

1dezu in die Arme einer Opposition treiben müßte, wenn ... ja, wenn es denn eine gäbe, die diesen Namen verdient hätte.

Die Bilanz der Opposition eineinhalb Jahre nach der Wahl unterscheidet sich kaum von der der Stadtregierung. Deutlicher: CDU, FDP und GAL waren der ihr im Parlamentarismus zugewiesenen Rolle nicht gewachsen. Die Alternativen, die das Rathaus bereithält, sehen eine Ablösung des „ewigen“ SPD-Senats gar nicht vor: SPD und Grüne, SPD und FDP, SPD und CDU, SPD und FDP und Grüne, das sind für die Zeit nach dem nächsten Wahlgang die Varianten sozialdemokratischer Alleinherrschaft. Zu mehr reicht die parlamentarische Phantasie nicht aus. Varianten einer SPD-Dominanz, die kaum noch einen anderen Ausweg lassen, als sich entweder mit Grausen abzuwenden, doch wieder SPD zu wählen oder aber über den rechten Tellerrand zu spähen.

1Man mag das differenzieren. Natürlich können die beiden kleinen Parteien nicht gutmachen, was eine führungsschwache CDU versäumt. Daran hindert schon die magere personelle Ausstattung von GAL und FDP, an der die Parteiorganisationen ebenso leiden wie die Parlamentsfraktionen. Der GAL darf man überdies zugute halten, daß sie sich als einzige Parlamentsfraktion nicht in den Diätensumpf hineinziehen ließ und so wenigstens in eigener (Parlaments-)Sache Opposition geblieben ist.

Opposition: „Gegenüberstellung, Widerspruch, Widerstand“, heißt es dazu in Meyers großem Taschenlexikon, abseits der parlamentarischen Abgrenzung. Dieser Definition gerecht zu werden, fällt natürlich schwer, zielt man nicht auf die Ablösung einer Regierung, sondern auf die Beteiligung an derselben. Läßt sich das Schielen ins SPD-Senats-Gemach im Falle der beiden kleinen Fraktionen noch

1rechtfertigen, ist ein entsprechendes Verhalten der CDU-Bürgerschaftsriege dagegen nicht nur parteischädigend im Sinne eines Eingeständnisses der eigenen (Allein)-Regierungsunfähigkeit. Ein solches Eingeständnis entzieht dem Parlamentarismus auch die für eine Demokratie unentbehrliche Möglichkeit des Wechsels. Mit anderen Worten: Die Unfähigkeit der Hamburger CDU, sachliche und personelle Alternativen — die auch nach außen als solche erkennbar sind — zu entwickeln, bereitet den Boden für eine andere, undemokratischere Gesellschaft.

Gut, gut, wir haben's auch ne Nummer kleiner: Man muß der Opposition ja gar nicht zumuten, jene Lösungsvorschläge für die strukturellen Probleme der Stadt auszuarbeiten, um die sich der SPD-Senat und der dazugehörige Verwaltungsapparat mehr oder weniger geschickt herummogelt. Die eine oder andere Idee, die über das

1derzeitige Niveau à la „Sozialhilfekürzung für Asylbewerber“ oder „Stadtentwicklungsbehörde abschaffen“ hinausgeht, wäre ja schon ganz prima, selbst wenn diese Ideen nicht gerade den sehnlichsten Wünschen von taz-Redakteuren entsprächen.

Aber daß die mit Abstand größte Oppositionspartei oft genug nicht einmal ihrer einfachsten Funktion — der Kritik an der Regierung und der sie tragenden Partei — gerecht wird, ist mit dem Begriff Armutszeugnis noch wohlwollend umschrieben. Wir wollen die ollen Diät-Kamellen nicht unnötig aufwärmen. Die peinliche Parlaments-Abstinenz zahlreicher Unionsabgeordneter, von denen einige selbst zu wichtigsten Kampfabstimmungen nicht im Rathaus erscheinen — geschenkt. Schlecht vorbereitete Haushalts-Pressekonferenzen, bei denen derart ungenau gerechnet wird, daß selbst das sonst eher zurückhaltende Hamburger Abendblatt von nicht mehr ernstzunehmender „Luftnummer“ schreibt? Entschuldigt. Dauerndes Oppositionsdasein verführt halt ebenso zur Schludrigkeit wie dauerndes Regieren.

Nicht zu entschuldigen ist dagegen die Fahrlässigkeit, mit der die CDU mit der Chance umgeht, dem SPD-Filz an die Faser zu gehen. Da legt die Enquete-Kommission zur Parlamentsreform den Sozialdemokraten ein Ei ins Nest, das die SPD eigentlich in tiefste Konflikte führen müßte. Die Kommission schlägt die strikte Trennung von Abgeordnetenmandat und Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung vor. Ein Vorschlag wider den Filz also.

Und was macht die Union? Statt die Gelegenheit zu ergreifen, dem von ihr selbst oft beweinten Übel an die Wurzel zu gehen, sitzt das eigene Interessens-Hemd näher als die Prinzipien-Jacke. Man wettert lauter gegen die Anti-Filz-Klausel als der aufgebrachteste Sozialdemokrat, schließlich haben ja auch die eigenen Leute den einen oder anderen netten Posten in der Verwaltung abgestaubt. Widerspruch! Endlich Opposition — leider nur gegenüber der Enquete-Kommission, deren erklärtes Ziel es im übrigen war, die Rechte der parlamentarischen Opposition zu stärken.

Aber wozu? Man kann doch mit den Sozis auch so ganz gut verhandeln. Ein bißchen mehr Verwaltungsreform gegen ein bißchen Parlamentsreform, aber bloß nicht zuviel. Das nutzt beiden. „Paketlösung“ heißt dieses taktisch-praktische Bündel im Unionsjargon. Anfang kommenden Jahres soll es geschnürt werden und der CDU wenigstens in den Bezirken ein wenig mehr Einfluß sichern. Da fällt es dann leichter, den Sprung ins Senatsgehege auch 1995 gar nicht erst anvisieren zu müssen. Es lebt sich doch auch so ganz gut.

„Meyers großes Taschenlexikon“ sieht das ein wenig anders: „Wo (...) Tendenzen zum kompromißhaften Aushandeln von Entscheidungen zwischen Regierung und Opposition (...) erkennbar sind, bildet sich außerparlamentarische Opposition.“ Und die heißt heutzutage entweder Politikverdrossenheit oder Rechtsruck.