: Liegt Seveso-Gift in Schönberg?
ARD-Magazin ortet dioxinhaltigen Müll aus Seveso auf der Deponie Schönberg Basler Chemiekonzern Hoffmann-La Roche dementiert ■ Von Thomas Scheuer
Basel (taz) – Auf der Giftmülldeponie Schönberg nahe Lübeck tickt laut dem ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ eine ökologische Zeitbombe mit politischer Brisanz: Dort sollen bis zu 150 Tonnen dioxinhaltiger Giftmüll aus Seveso verbuddelt sein. Nach einer Explosions-Katastrophe 1976 in der Chemie-Fabrik Icmesa, einer Tochter des Schweizer Pharmakonzerns Hoffman-La Roche, hatte eine dioxinhaltige Giftgaswolke das Werksgelände und die Umgebung in der norditalienischen Stadt verseucht.
Die Firma Mannesmann Italia, eine Tochter der Düsseldorfer Mannesmann AG, so haben die „Plusminus“-Recherchen ergeben, soll 1982 den Auftrag erhalten haben, den giftigen Seveso-Abfall auf eine ausländische Deponie zu bringen. Geheime Unterlagen sollen nun belegen, daß Mannesmann Italia sich in einem Vertrag mit der DDR-Firma Intrac verpflichtete, die hochgiftigen Industrieabfälle aus Italien „ausschließlich“ nach Schönberg zu liefern. Nach Darstellung von „Plusminus“ bestätigte Mannesmann Italia im März 1983 der Seveso-Firma Icmesa die Beendigung des Auftrages. Die DDR-Firma Intrac gehörte zum Netzwerk des Devisen-Imperators Alexander Schalck-Golodkowski, die eine spezielle Abteilung für den internationalen Müllhandel unterhielt. Sie war auch für die direkt an der ehemaligen Grenze zur Bundesrepublik gelegene Giftmülldeponie Schönberg zuständig.
Ein Sprecher des Basler Chemiekonzerns Hoffmann-La Roche erklärte der taz gestern auf Anfrage, bei dem von „Plusminus“- Redakteuren aufgespürten Müll könne es sich „nicht um Müll aus Seveso handeln“. Bei der Entsorgung des Icmesa-Geländes sei „bis aufs letzte Kilogramm Buch geführt worden“. Dies sei von den Behörden kontrolliert und bestätigt worden.
Gerüchte, wonach Seveso-Müll auf der ehemaligen DDR-Deponie verbuddelt wurde, geistern immer wieder durch die Medien, seit im Herbst 1982 41 Fässer mit Seveso-Müll spurlos verschwanden. Sie tauchten im Mai 1983 in einer Scheune in Frankreich wieder auf und wurden unter großem Presserummel später in einem Spezialofen des Chemiekonzerns Ciba Geigy in Basel verbrannt. Spekulationen, bei den gefundenen und verbrannten handele es sich nur um Doubletten der echten Seveso- Fässer, konnten nie belegt werden.
Nach Recherchen der taz hat die in die Seveso-Fässer-Affäre verwickelte Mannesmann-Tochterfirma allerdings im fraglichen Zeitraum tatsächlich dioxinhaltigen Giftmüll nach Schönberg geliefert. Möglicherweise ist „Plusminus“ diesen Lieferungen auf die Spur gekommen. Aus Dokumenten des Ministerium für Staatssicherheit geht hervor, daß die Stasi seinerzeit auf allen DDR-Deponien nach den Seveso-Fässern forschte, diese Suche aber ergebnislos abbrach, als die West-Presse deren Auftauchen in Frankreich meldete. Gegenüber SPD-Mitgliedern des Bonner Schalck-Untersuchungsausschusses, die im Sommer dieses Jahres die Deponie inspizierten, beteuerten Verantwortliche zwar, es sei niemals Seveso- Müll angeliefert worden. Denkbar ist jedoch, daß westliche Schieber der Deponie seinerzeit Dioxin- Schutt unter falscher Deklaration unterjubelten.
Daß der DDR damals Seveso- Müll zumindest unverblümt offeriert wurde, beweist die der taz vorliegende Aktennotiz eines hohen Intrac-Mitarbeiters. Danach schlug der österreichische Händler Michael Grossauer, Inhaber der Firma Allimex im schweizerischen Zug, der Schalck-Firma im Mai 1983 telefonisch einen Deal mit Seveso-Schrott vor. „Herr Grossauer sagte“, so der Intrac-Vermerk, „diese Firma (Hoffmann-La Roche, d. Red.) hat sich entschlossen, die ihr gehörende Fabrik in Seveso zu demontieren. Er fragte an, ob die DDR Interesse hätte, ein solches Geschäft zu übernehmen.“ Die DDR, so Grossauers Vorschlag, könne ja ausländische Arbeiter einsetzen; der Dioxin-Schutt könnte „evtl. in einem befreundeten Entwicklungsland eingelagert werden“.
Grossauer wurde damals mitgeteilt, „daß die DDR solcherlei Geschäfte nicht durchführt“. An seine Offerte will sich Grossauer, von der taz befragt, jedoch nicht mehr erinnern.
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