: Falsche Freunde
■ Der Game Boy im Selbstversuch
Jeder kennt diese Stunden, in denen man eigentlich zu nichts Lust hat. Die fröhlichen Dinge werden grau und bedeutungslos. Man sitzt herum, schaltet den Fernseher ein und raucht eine Zigarette. Dann schaltet man wieder aus und versucht, Freunde anzurufen. Niemand ist da. Ein Bier will trösten und wird schnell vernichtet. Lustlos schaut man aus dem Fenster. Lustlos schaut man in das Zimmer. Dann fällt der Blick auf den Game Boy und bleibt daran hängen. Dann greift die Hand zum Game Boy, und eine altvertraute Weise ertönt: „Da dadada dadada dada dadada dadadadada...“
Als ich krank war, hatte ein Freund mir das Computerspielgerät gebracht. Doch auch nach meiner Genesung blieb ich am Game Boy hängen. Zunächst spielte ich nur zur Belohnung. Wenn eine Arbeit getan war und eine andere noch warten konnte. Doch immer öfter zog mich der Game Boy in seinen Bann. Selten nur noch belohnte ich mich nach dem Spiel mit ein bißchen Arbeit. Ich wollte den Game Boy zurückgeben, doch hämisch meinte der falsche Freund, ich solle ihn doch ruhig behalten.
Einmal war ich bei einer Freundin zum Essen eingeladen. Ein thailändisches Ehepaar mit sechsjährigem Sohn war ebenfalls da. Der spielte auch, und er spielte besser. Ich nahm ihm dann seinen Game Boy weg. Die anderen begannen mich doof zu finden. Meine Freundin trennte sich von mir. Vor dem Einschlafen schämte ich mich ein bißchen.
Eine Zeitlang versuchte ich mich mit strengen Vorgaben zu retten. Nach dem Erreichen bestimmter Spielstufen wollte ich Schluß machen. Nach zwölf Stunden war die erste Stufe geschafft. Ich war glücklich, und der Computer freute sich mit mir. Auf dem kleinen Bildschirm erschienen ein paar Russen mit Geigen und spielten zum Tanz. Klasse!
Ich spielte weiter – natürlich. Außerdem ist das gesund, denn beim Spielen kann man nicht trinken! Blaß begann ich zu werden und vernachlässigte Freunde, Fernsehen und Arbeit. Selbst nach Erreichen der höchsten Spielstufe ließ mich der Game Boy nicht los. Den Blick auf das verfluchte Gerät gerichtet, verbrachte ich ganze Abende allein. Ich ließ mich krankschreiben, um mehr Zeit fürs Spielen zu haben. Der Arzt glaubte meinen roten Augen. Nur selten verließ ich noch die Wohnung. Zwischen den Spielen dachte ich manchmal an Selbstmord.
In einem lichten Moment steckte ich den Game Boy in den Briefkasten meines Nachbarn. Bald brachte er ihn mir zurück. Was das denn solle. Ich war zu stolz, ihm die Wahrheit zu beichten. Dann warf ich das Gerät hinter mein Bücherregal. Viele Bücher stürzten ins Zimmer, als ich es wieder hervorsuchte. Endlich schmiß ich den Game Boy aus dem Fenster. Zerschmettert spielte er ein letztes Mal noch seine mörderische Weise.
Das Leben beginnt sich wieder zu normalisieren. Anstatt stumpfsinnig vor dem Game Boy zu sitzen, schaue ich wieder lieber in den Fernseher. Dabei kann man wenigstens rauchen. Detlef Kuhlbrodt
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