: Bornierter Reigen, scheuklappenblind
■ Tschechows „Waldschrat“ in einer Inszenierung des Zan Pollo Theaters
„Der Wald lehrt den Menschen, das Schöne zu verstehen. Der Wald mildert das rauhe Klima. Ohne den Wald versiegen die Flüsse, sterben die Tiere und die Menschen.“ – Alles alter Tobak? In der Tat: Bereits 1888/89 legte Anton Tschechow diese Worte der Titelfigur seines ersten Stückes in den Mund, dem „Waldschrat“.
Fast schon visionär erscheinen heute diese Sätze aus einem Stück, das bei der Moskauer Uraufführung komplett durchfiel und das Tschechow selbst dann auch nicht mehr in seine Werkausgabe aufnehmen wollte. Hierzulande wird es auch heute nur selten aufgeführt, höchstens noch als Vorläufer von „Onkel Wanja“. Dabei hat Tschechow auch im „Waldschrat“ einen ganzen Reigen scheinbar „normaler“ Menschen aufgefahren, denen er bis in die Tiefen ihrer verkommenen, dekadenten, gelangweilten Seelen leuchtet, ohne dabei wehleidig zu werden oder den Figuren einen gnädigen Ausweg zu zeigen.
An diesem Punkt setzt auch Ilona Zarypow an, die wieder einmal für die Inszenierung beim Zan Pollo Theater verantwortlich ist. Ihre Mischung aus Zan Pollo- (oder Zarypow-)eigenem Stil mit seiner Vorliebe für klar strukturiertes, absurdes Spiel und Tschechows psychologischem Stück schafft ein Panoptikum von skurrilen Gestalten, die ganz in ihrer Egozentrik, Oberflächlichkeit und Ablenkungssucht verhaftet sind und sich selbst jeden Weg verbauen, auch nur ein bißchen zufrieden oder gar glücklich zu werden.
Da ist der Waldschrat, der „Narodnik“, wie ihn die anderen beschimpfen, der sein Leben zwar den Bäumen widmet, aber den Menschen nichts entgegenzusetzen hat. Jürgen Wink verleiht ihm das stille, melancholische Pathos eines Kämpfers mit Revoluzzerwaldkäppi, der von vornherein weiß, daß alle seine Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind. Er bemüht sich nur mehr anstandshalber. Oder der alte Professor (Dieter Zöllter), der nicht wahrhaben möchte, daß seine Berühmtheit auf dem Nachkäuen schon gesagter Sätze beruht. „Leeres Stroh dreschen“ nennt das sein selbsternannter Verwalter Vojnicki (Werner Schuster), ein Zyniker und Verdrängungskünstler, der sich später kläglich das Leben nehmen wird. In Djadin (Jockel Baumann), dem besinnungslosen Schwätzer, und in dem Vater-Sohn-Zwillingspärchen Orlowskij (Christian Bleyhoeffer/Bernhard Leute) – der eine gockelhafter als der andere – zieht Tschechow sämtliche Register seiner Abneigung gegen jedes überflüssige Füllwort und überläßt die Figuren ihrer Lächerlichkeit. Die slapstickhaften Ideen und kleinen, ausgestellten „Choreographien“ Ilona Zarypows schaffen besonders im ersten Teil des Abends die wunderbare Tschechowsche Mischung aus Komik und Melancholie, ohne dabei auf den Text aufgepfropft zu wirken. Am Ende stellt das Zan Pollo Theater das verdiente Bild für diese Gesellschaft her: Während bei Tschechow ein brennender Wald in der Ferne den Himmel nur errötet, schließt das Feuer bei Zarypow die tanzenden Paare unbemerkt ein. Der bornierte Reigen, scheuklappenblind, hat die Apokalypse nicht auf sich zukommen sehen. Anja Poschen
Bis Ende Februar, Mi-So um 20 Uhr, „Pumpe“, Lützowstraße 42.
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