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Schmelzdahin

Avantgardefilmtage mit „Found-Footage-Filmen“ in Bielefeld  ■ Von Helmut Merschmann

„I'm through with love“, singt die späte Monroe, doch eine junge und fast nackte Marilyn übt dazu laszive Posen. Der amerikanische Filmmonteur Bruce Conner bastelte aus den schwarzweißen Aufnahmen eines Amateurfilmers und dem Soundtrack ein virtuoses Stückwerk erotischer Filmphantasie. Die Handlung des Streifens ist oft von Schwarzfilm unterbrochen. Insgesamt fünfmal stimmt Marilyn den Song an, während die Aufnahmen immer grobkörniger werden. Beim letzten Mal ist nur noch Schwarzfilm zu sehen und die Monroe hinter ihrem Erscheinungsbild und dem Gesang wie ausradiert, verschwunden.

Mit einer Bruce-Conner-Werkschau starteten die Bielefelder Avantgardefilmtage in der letzten Woche. Conner gilt als Meister des Found-Footage-Films, einem Experimentalfilmgenre, das sich der Demontage und Neuorganisation vorgefundenen Materials widmet. Ähnlich dem „Ready Made“, doch seinen Kontext erweiternd und vergleichbar der „Collage“ – sie in die Zeit hinein verlängernd – hinterfragen diese Filme die Bedingungen des Mediums. So wie durch den Zusammenprall von Filmschnipseln verschiedenen Stils und unterschiedlicher Materialbeschaffenheit die Illusion der Präsenz (so zu tun, als sei das Ereignis anwesend) untergraben wird, wollen die Filme auch seine Geschichtlichkeit und Autorenschaft aushöhlen. Anstelle eines geschichtlichen Kontextes bieten Found- Footage-Filme vielfältige historische Bezüge.

Bruce Conner dekonstruiert amerikanische Mythen. Ob er nun einen Bob-Dylan-Song mit dem rauschhaften Refrain „Everybody must get stoned“ zu den Bildern eines Bibel-B-Movies gesellt und der doppelbödigen Metapher in einer Steinigungsszene neuen Sinn verleiht (in „Permian Strata“, 1969), oder ob er in „A Movie“ (1957) Unglücksfälle aus Wochenschauen, Filmvorspänne oder Softpornos zu einem ästhetisierten Katastrophenszenario und in „Crossroads“ (1976) die ersten amerikanischen Atombombentests im Jahr 1946 am Bikini-Atoll zu einer Choreographie des Schreckens zusammenstellt. Die Inszenierung des Grauens, des Schönen im Häßlichen – das ist es, was Conner mittels der Found-Footage-Technik aufzeigen kann – liegen dicht beieinander.

Found-Footage-Filme setzen anstelle des Schöpfers den Autor, der mit dem Material spielt. Er entreißt es seinen ehemaligen Urhebern und einstigen Bezügen und ordnet sie einem neuen Kontext unter. Allein ästhetische Kriterien bestimmen die Auswahl der Bild- Ton-Sequenz. Kopieren, Viragieren oder Zerkratzen verfremden sie zusätzlich. Bruce Conner führte lediglich in „Breakaway“ (1966), einer nervös geschnittenen Tanznummer, selbst die Kamera.

Auch aktuellere Found-Footage-Produktionen waren in Bielefeld vertreten. „Das eiskalte Auge“ von Heiner Mühlenbrock (1989) unterlegt die Bilder von Überwachungskameras im Berliner Kongreßzentrum mit O-Tönen aus alten Hollywoodstreifen und Filmen der Nouvelle-Vague. Das gefundene dokumentarische Material wird so zu einer Erzählung. In „Showdown mit Gemi“ von Ulrike Zimmermann (1992) stellt die eingestanzte Silhouette von Mara Mattuschka, einer Wiener Filmemacherin, bekannte Westernszenen nach und kommentiert sie gleichzeitig als machohafte Posen und Possen.

Den ahnungslosen Besucher erschreckte im Foyer des Lichtwerk- Kinos eine Installation von Jürgen Reble (von der ehemaligen Gruppe „Schmelzdahin“). Durch einen Infrarotkontakt ausgelöst, springt ein Super-8-Projektor an und blendet den Eindringling mit gleißendem Licht. Dazu ertönt der ohrenbetäubende Lärm eines Elektromixers. Der durch den Projektor ratternde (gefundene) Film wird nämlich darin zerhackstückt. Diese Negation des Films als Kulturkonserve ist für Reble die „Schnittstelle zwischen Film und bildender Kunst. Film wird auf das reduziert, was er ist, nämlich ein Stück Zelluloid.“

In einer Performance läßt Reble eine Filmschlaufe durch chemische Bäder laufen. Vor den Augen des Zuschauers zersetzen sich die Filmbilder. Ihre Formen und Farbschichten verwandeln sich in einen kosmischen Nebel tanzender Elementarteilchen. Zum Schluß hält Reble den Projektor an, bis der letzte Bildkader schmilzt und die weiße Leinwand sichtbar wird.

Doch nicht nur gefundenes Material dominierte die Avantgardefilmtage. „The Body Is A Wound“ lautete ein anderes Programm und nahm sich wörtlich: „Blut fließt“, verhieß der Programmzettel. So paktierte Jeanne Liottas in viel Herzblut getränkter „Blue Moon“ mit der kühlen Dokumentation über eklige Schönheitschirurgie in „Vel“ von Regine Steenbock und Romuald Karmakars strenges Dokudrama „Demontage IV“.

In diesem hängt der Aktionskünstler Flatz als menschlicher Glockenklöppel kopfüber am Seil zwischen zwei Stahlplatten. Jemand bringt ihn zum Pendeln, bis er ungeschützt gegen die Platten donnert. Nach zehn Minuten hört der Spuk und Heidenlärm auf, und ein Turniertanzpaar betritt die Szene. Zu einer lieblichen Walzerweise drehen sie behende ihre Runden. Extremer kann wohl der Gegensatz von barbarischer und kultivierter Gewalt nicht dargestellt werden. Beides versinnbildlicht die Rituale der Körperbeherrschung und den Sieg der Disziplin. Beides verweist aber auch auf die unterschiedliche moralische Bewertung dieser Darstellungen. Was im ersten, primitiven Fall als krankhaft ausgegrenzt wird, kann im zweiten, stilisierten Fall als Hochkultur goutiert werden.

Den Organisatoren Matthias Müller und Maja-Lene Rettig, zwei dort ansässigen Filmemachern, ist eine glückliche, wenn auch ausufernde Auswahl gelungen. Doch anders als Avantgardisten hierzulande noch in den siebziger Jahren behaupteten, müssen volle Kinosäle keineswegs niedere Beweggründe bedeuten. Dies bewies zumindest der Publikumszuspruch und die außerordentlich hohe Qualität der Programme.

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