Der lange Kampf der südkoreanischen Titanen

■ Zwei Kims wollen heute den Sprung in den Präsidentenpalast schaffen

Seoul (taz) – „Ich wähle Kim Young Sam von der Demokratisch-Liberalen Partei“ (DLP), sagt Lim Kyung Ho, „D.J. ist mir zu gefährlich.“ Mit den zwei magischen Initialen meint der Jungmanager den Oppositionellen Kim Dae Jung. Kurz vor den Präsidentschaftswahlen zieht DLP-Kim, der Favorit beim heutigen Urnengang, alle Register, um seinen langjährigen Intimfeind, Weggefährten und Namensvetter aus der Demokratischen Partei (DP) anzuschwärzen.

„Er muß seine politische Allianz mit den radikalen Dissidenten, die nordkoreanische Flaggen hissen und den Diktator Kim Il Sung verherrlichen, erklären“, sagt Koo Chang Rim von der DLP und mengt alle Regierungskritiker zu einem „Brei“. Daß die außerparlamentarische Opposition nur die Wahl Kim Dae Jungs unterstützt, dürfte die DLP am allerwenigsten wundern. Der 67jährige ist der progressivste unter den aussichtsreichsten Bewerbern für die Nachfolge des Staatschefs Roh Tae Woo.

Der charismatische Oppositionsführer – kein linker Ideologe und auch kein Revolutionär, wie die DLP ihn gerne hinstellt – ist ein Politiker der Mitte, der über Jahrzehnte gegen die militärischen Diktatoren kämpfte und Anfang 1980 zum Tode verurteilt worden war. Doch im konservativen Korea könnte das Bild eines Kandidaten mit einer zweifelhaften Ideologie auf fruchtbaren Boden fallen.

„Kim Young Sam hat seine Seele verkauft, um an die Macht zu kommen, und jetzt mordet der Verräter eine 30jährige Freundschaft mit mir, um seine sinkende Popularität unter der Bevölkerung zu retten“, so beschimpft Kim Dae Jung seinen ärgsten Rivalen. Vor zwei Jahren hatte der langjährige Oppositionelle Kim Young Sam nämlich die Seiten gewechselt. Er war ins Regierungslager übergelaufen und besorgte der Partei des Staatschefs wieder die Mehrheit im Parlament.

Diesen Schritt hat ihm die Opposition nie verziehen. Sie hofft, daß der geschickte politische Taktiker für seinen Opportunismus bei den heutigen Wahlen die Quittung erhält. Doch der 65jährige Kim hat die Mehrheitspartei und eine funktionierende Wahlkampfmaschinerie hinter sich.

Der geläuterte Kim Young Sam genießt nicht bei allen Parteimitgliedern uneingeschränkte Sympathie. Für Kim Dae Jung sind das beste Aussichten, den Sprung ins „Blaue Haus“, den Seouler Präsidentenpalast, endlich zu schaffen. Und dabei könnte ihm der dritte im Bunde zu Hilfe kommen.

„Chung Ju Yung – unser neuer Präsident!“ skandieren mehrere hunderttausend Anhänger im Trommelwirbel der Einpeitscher auf der Yoida-Plaza im Seouler Westen. Der steinreiche Chung, Gründer des riesigen Mischkonzerns Hyundai, ist Kandidat der Vereinigten Volkspartei. Unterstützung findet der 77jährige vor allem unter der konservativen Wählerschaft, und diese Stimmen könnten Young Sam fehlen. Angetreten ist der Ex-Geschäftsmann und Ross-Perot-Verschnitt Koreas mit dem Ziel, das Zeitalter der Kims endgültig zu beenden. Er versteht sich als Ökonomieexperte und will die Wirtschaft des Schwellenlandes wieder flottmachen.

Stinksauer ist er vor allem auf Kims DLP und die Seouler Regierung, die wegen illegaler Spenden der Hyundai an seine Volkspartei eine Untersuchung einleitete und etliche Manager der Firma verhaftete. Das einseitige Vorgehen der Regierung gegen die Hyundai sei ein Bruch des Versprechens des Präsidenten, sich neutral zu verhalten, klagt die Volkspartei.

Doch an Neutralität glauben sowieso nur die wenigsten. Denn bei den Wahlen geht es auch um Posten einer Beamtenschaft, die seit Jahrzehnten an den Schalthebeln der Macht sitzen. Nur wenige Tage vor der Wahl lüftete die Partei Chungs dann aber einen Skandal, der Kim Young Sam den Wahlsieg kosten könnte: Bei einem Geheimtreffen in einem Fischrestaurant in der Hafenstadt Pusan hatten Geheimdienst, Militärs und DLP über Strategien nachgedacht, um Kim Young Sams Wahlkampagne zu unterstützen. Was sie nicht wußten und was ihnen zum Verhängnis wurde, die kleine und reiche Volkspartei erfuhr von der Verabredung. Ein Mann namens Kim ließ eine Wanze anbringen und zeichnete das Gespräch auf.

Doch anders als vor fünf Jahren fehlten in Südkorea beim Wahlkampf 1992 die ganz großen Themen. Über Demokratisierung des Landes spricht heute fast keiner mehr. Die Koreaner, vor allem an Stabilität und wirtschaftlicher Sicherheit interessiert, sind der Politik überdrüssig geworden.

Kein Wunder, daß alle Bewerber wirtschaftliche Fragen in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampagnen stellten. Kim Young Sam will, falls gewählt, die Politik seines Vorgängers fortsetzen. Nur Kim Dae Jung wird zugetraut, den Prozeß der Demokratisierung zu beschleunigen. Er verspricht, nicht nur politische Gefangene zu entlassen, sondern auch etliche undemokratische Gesetze zu verändern. „Ein Machtwechsel tut Südkorea gut“, sagt DPler Kim Sang Woo, „er würde uns politische Reife bescheinigen und eine veränderte politische Kultur bringen.“ Peter Lessmann