Nahe an der Verfassungsfeindlichkeit

■ StudentInnen und Gewerkschaften einig gegen Kürzungsmaßnahmen / An Berliner Universitäten und Fachhochschulen ist Pflichtangebot nicht mehr gewährleistet / TFH droht Einstellung von Fächern

Berlin. Ein desolates Bild der Studiensituation in der Hauptstadt zeichneten gestern studentische VertreterInnen Berliner Hochschulen und die Gewerkschaften DGB und GEW. Zunächst müßten Studienplätze an Fachhochschulen geschaffen werden, sagte Larissa Klinzing von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zur Absicht des Senats, 10.000 Studienplätze an den Universitäten abzubauen. „Nahe an der Verfassungsfeindlichkeit“ sah Sven Vollrath vom Studentenrat der Humboldt-Universität den Plan, von den Studierenden einen Beitrag von 1.000 DM pro Semester zu erheben. Diesen Vorschlag hatte der Wissenschaftsrat diese Woche erhoben, er findet sich auch im „Solidarpakt“, den Bundeskanzler Helmut Kohl der SPD vortrug.

„In vielen Fächern können noch nicht einmal mehr die Pflichtkurse angeboten werden“, skizzierte Klaus Harke vom Allgemeinen Studentenausschuß (Asta) die Situation an der Freien Universität. Es gebe „effektiv keine Qualifikationsstellen“ für den wissenschaftlichen Nachwuchs mehr. Diese würden durch den Wegfall jeder freiwerdenden Stelle zuerst gekürzt. Harke sagte, Ansätze wie Frauenforschung oder die Einrichtung interdisziplinärer Studiengänge könne man „ganz abschreiben“. Am FU-Institut für Philosophie fielen fünf auslaufende Stellen für Frauenforschung weg. Nach den Worten von Hartmut Tilwitz vom Asta der Technischen Fachhochschule (TFH) ist das Bild an den Fachhochschulen ähnlich. Vorlesungen würden in das nächste Semester verlegt, weil das Lehrangebot nicht abgedeckt werden könne. An der TFH sei das im Studiengang Bauingenieurwesen der Fall. Auch die Verwaltung sei „heillos überlastet“. „Der Mann lügt“, sagte Tilwitz zu den Äußerungen von Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU), die StudentInnenzahlen gingen zurück. An der TFH hätten sich zum Wintersemester etwa 5.500 Studierende beworben. Die „Knackpunkte“ der TFH lägen im kommenden Semester in der Chemie, der Informatik und bei der Nachrichtentechnik. Diese Fächer seien wahrscheinlich „nicht mehr studierbar“, prognostizierte Tilwitz.

Sven Vollrath von der Humboldt-Universität (HUB) meinte, „daß das auch auf die HUB wartet, wenn die Hochschulpolitik so weitergeht“. In den kommenden beiden Jahren werde sich die Studiennachfrage im Osten Deutschlands verdoppeln oder verdreifachen. „Einen Aberwitz“ nannte es Vollrath, wenn die Studierenden mit dem Semesterbeitrag nun die Studienreform bezahlen sollten. Es sei nach Verfassung Aufgabe von Bund und Ländern, das Recht auf Bildung finanziell abzusichern. An den Universitäten würde „natürlich auch Geld verschwendet“, sagte Bernd Fick vom Asta der TU. Aber das sei nicht im Bereich von Lehre und Studium, sondern bei teueren Großgeräten. Innerhalb der Universitäten müsse „extrem umverteilt“ werden. Die Studienordnungen sollten „entrümpelt“ werden, schlug der Student vor. Die Pflichtfächer würden von den Professoren nur „zur Sicherung ihrer Pfründe benutzt“. Es müsse mehr Wahlfreiheit bestehen. Bernd Fick sagte weiter: „Aber man kann natürlich nicht reformieren, bevor das größte Finanzchaos beseitigt ist.“ Christian Füller