Interkulturelles Lernen als Selbsthilfe

■ TU: Sprach- und Kulturbörse organisiert Sprachkurse, Werkstätten und ein Café

Charlottenburg. Seit es die Sprachbörse gibt, kennt Patricio Retamal in Berlin tausend Leute. „Ich bin immer verabredet ins Café, ins Kino, ins Theater. Wenn ich durch die TU gehe, treffe ich ständig Freunde – das ist wie in Chile.“ Vorher sei er oft schüchtern gewesen, die anderen redeten einfach so gut Deutsch. Seit zwei Jahre bringt er Kommilitonen Spanisch bei. „Es geht aber nie nur um die Sprache“, sagt er. „Die Leute sollen auch etwas von meinem Land erfahren, aktuelle Probleme diskutieren.“ Er habe auch einen Abend im Multi-Culti-Café gestaltet. „Ich habe einen Vortrag gehalten über die Mapuche. Ich bin selbst halb Indianer, halb Spanier, das ist bei uns fast immer so.“ Wo tagsüber Mathe-Klausuren diskutiert oder Magisterprüfungen gefeiert werden, plaudert man an diesem Abend in Englisch oder vielmehr Amerikanisch. Bei Erdnußflips, karamelisierten Erdnüssen, Flüssigkäse auf Tortillas und der unvermeidlichen Cola schauen sich die 50 BesucherInnen „Reifeprüfung“ und „Die Blues Brothers“ im Original an. Beim ägyptischen Abend versuchte ein Student, die ägyptische Kultur als eine zwischen Nord und Süd zu bestimmen, nachdem vorher zusammen Schadara gekocht wurde, ein Linseneintopf mit Reis.

„Im Multi-Culti-Café finden unsere landeskundliche Veranstaltungen statt“, sagt Hong Meng, eine der OrganisatorInnen der Sprach- und Kulturbörse (SKB) an der TU. Der Schwerpunkt der SBK liegt auf Sprachkursen, die jeweils von muttersprachlichen Studierenden angeboten werden. An der TU studieren fast 6.000 ausländische Studierende aus 113 Ländern. „Die sind Experten in ihrer Kultur, ihrer Sprache, ihrer Heimatländer, der aktuellen Probleme dort“, sagt Suhail Rishmawi, der die Sprachbörse mit gegründet hat. Statt das zu bedenken, seien herablassende Bemerkungen und unterschwelliger Rassismus auch unter Studierenden akut. „Wir wollten nicht nur dagegen reden, sondern vor Ort etwas tun.“

Im Streiksemester Ende 1988 gab es zum ersten Mal autonome Sprachkurse. Daraus entwickelte sich die Idee, ein Studienreformprojekt, die sogenannte Sprachbörse, einzurichten. In diesem Semester beteiligen sich 377 Studierende an 44 Kursen. „Unser Ansatz ist nicht nur selbstbestimmt, sondern auch interkulturell zu lernen“, sagt Rishmawi. Das führe zwar manchmal zu Irritationen, etwa wenn eine deutsche Studentin, die für ihren Urlaub in Ägypten Arabisch lernen wollte, auf drei Türkinnen mit Kopftüchern stoße, die den Koran im Original lesen wollten. „Die Gruppe hat sich aber nachher sehr gut verstanden, sie haben zusammen gekocht und sich manchmal auch so getroffen.“ Gerade die Verbindung zwischen Sprache und aktuellen Themen habe er geschätzt, sagt auch Gabriel S. Vor allem über das Baskenland habe er viel in seinem Spanischkurs gelernt.

Auch Zukunfts- und Schreibwerkstätten werden organisiert. In den Zukunftswerkstätten tauschen sich die Teilnehmer über ein Thema wie „Kommunikation in internationalen Gruppen“ aus und versuchen gemeinsame Perspektiven zu entwickeln. Die Schreibwerkstatt richtet sich vor allem an ausländische Studierende. „Sie wollen lernen, die Ideen, die sie im Kopf haben, fließend aufs Papier zu bringen. Es kommt dabei nicht auf die Grammatik, sondern auf die Idee an.“ Corinna Raupach

Die SKB ist an der TU unter 314-22730 erreichbar. Das Muli- Culti-Café findet dienstags abends im Telquel, im Telefunkenhaus am Ernst-Reuter-Platz, statt.