: Rechte Jugendliche darf man nicht ausgrenzen
■ Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) über die Grenzen der Sozialarbeit mit Rechtsradikalen/ Nur vorbehaltloser Kontakt mit ihnen bringt Erfolge
taz: Darf Jugendarbeit sich rechten Jugendlichen verweigern?
Thomas Krüger: Ausgrenzung darf es nicht geben. Das umzusetzen aber ist nicht einfach. Denn Sozialarbeiter haben es zuweilen mit rechtsextremen Hardcore-Straftätern zu tun. Das sind aber in der Regel immer nur einige wenige in der Gruppe, während die Mehrzahl eher ein latent rechtsorientiertes Potential darstellt. Die sind durchaus integrierbar. Sozialarbeiter müssen aber lernen, daß ihre Arbeit etwas mit einem Kalkül zu tun hat: Siebzig Prozent kann ich vielleicht zurückholen, die restlichen dreißig Prozent bleiben im Grunde ein sicherheitspolitisches Problem. Ich muß zwar die Arbeit auch auf diese Jugendlichen erstrecken, aber unter Umständen werde nicht ich der sein, der dort Erfolge erzielt, sondern die Polizei oder der Verfassungsschutz.
Wo sehen Sie Versäumnisse in der Jugendarbeit?
Die gesamte präventive Jugendarbeit ist vernachlässigt worden. Prävention hat neben der Repression immer eine sehr untergeordnete Rolle gespielt. Die Polizei konnte 200 Beamte für die Jugendgruppengewalt abstellen; ich habe gekämpft und gerudert, um 45 Streetworker-Stellen zu bekommen. Da sieht man das Gefälle in der Wertigkeit.
Welche Angebote muß ein Sozialarbeiter machen?
Am wichtigsten ist: Beteiligungsformen entwickeln. Sehr auffällig ist, daß diese Jugendlichen keine Verantwortung übernehmen können und keine Beteiligungsspielräume und Lebensräume haben. Ein Sozialarbeiter muß dafür sorgen, daß Impulse von Jugendlichen aufgegriffen werden und daraus Projekte werden, aus denen sie ein Selbstwertgefühl ziehen können.
Man muß sich klarmachen: Die Sozialarbeiter, die mit rechten Gruppen arbeiten, das sind doch die letzten Ansprechpartner für solche Jugendlichen. Sozialarbeiter müssen versuchen, daß jeder Jugendliche einen individuellen Weg aus diesen Gruppen herausfinden kann – nicht muß. Jeder, der einen Weg findet, ist ein Erfolg.
Wo liegen dabei die Grenzen?
Sozialarbeiter sind wahnsinig in der Klemme. Ihnen wird in dem Augenblick, wo sie mit rechten Jugendlichen arbeiten und versuchen, diese Situation auszuhalten, unterstellt, sie seien rechte Sozialarbeiter. Dabei gehört es zum Wesen des Sozialarbeiters, sich der Kommunikation seiner Klientel und ihrer Lebenszusammenhänge zu stellen. Wenn man das ideologisch anpackt, dann geht das in jedem Fall vorn Baum. Die meisten Sozialarbeiter sind doch links. Wenn die versuchen, die Rechten zu überzeugen, dann werden sie nicht akzeptiert. Ohne eine Vertrauensbasis gibt es schnell den Verdacht, daß sie in Wirklichkeit die fünfte Kolonne des Verfassungsschutzes oder der Polizei sind. Sozialarbeiter müssen sich zunächst vorbehaltlos auf die Gruppen einlassen. Sie müssen dann aber eine Grenze ziehen: daß eine Zusammenarbeit der rechten Jugendlichen mit Parteien nicht stattfindet. Leute von diesen rechten Partein haben in Jugendeinrichtungen nichts zu suchen. Sonst läuft das Projekt nicht.
Man muß also ein Mindestmaß an Spielregeln festlegen und sich darauf verständigen. Die bisherigen Projekte zeigen auch, daß dies akzeptiert wird und diese Arbeit in der rechten Szene Wirkung zeigt.
Kann man zulassen, daß sich Treffpunkte der rechten Jugendlichen entwickeln?
Natürlich treffen sich die Gruppen immer in bestimmten Einrichtungen. Im Judith-Auer-Club haben sich die rechten Jugendlichen einmal in der Woche zum Tanzen getroffen; ansonsten sind das alles ganz normale Kids aus dem Kiez, die sich dort treffen und mit Rechten eher weniger zu tun haben. Man muß nun aufpassen und nicht den einen Tag in der Woche sehen und damit die Arbeit der ganzen Woche diskreditieren. Das eigentliche Problem ist, daß solche Treffs dann für die Autonomen zum rechten Symbol werden.
In der „Wurzel“, die vor zwei Monaten nach einem Brandanschlag von Autonomen abbrannte, trafen sich rechte Jugendliche. War das eine Arbeit, die über die Grenze hinaus ging?
Die Arbeit, die in der „Wurzel“ gemacht wurde, bewegte sich im Grenzbereich. Dies wird von mir politisch getragen. Man kann diese Jugendlichen nicht ausgrenzen. Das ist politisch problematischer, als wenn man sich dieser Sache stellt. Deshalb wird die Arbeit dort auch wiederaufgenommen.
Der Vorwurf der Brandstifter lautete, die „Wurzel“ sei ein Kristallisationspunkt für rechtsextreme Parteien.
Das ist ein Totschlagargument. Damit kann man die gesamte Arbeit mit rechten Jugendlichen niedermachen. Die „Wurzel“ war aber kein Kristallisationspunkt. Die Spielregel war immer, daß es keinen Kontakt zu rechten Parteien gibt. Dies ist auch eingehalten worden. Man kann nicht in jedem Fall gewährleisten, was die Jugendlichen tun, wenn sie nicht in der Jugendeinrichtung sind, aber in der Einrichtung ist keine rechte Parteiarbeit gelaufen. Das wäre in der Tat die Grenze. Beim Projekt in der Pfarrstraße in Lichtenberg hat der Sozialarbeiter Heinisch deswegen ja auch drei rechte Jugendliche ausgeschlossen.
Das Problem ist doch, daß die Gewaltspirale erst recht in Gang gesetzt wird, wenn man die Gruppen aus ihren Räumen verdrängt. Dann nämlich flottieren sie in der Stadt, und das führt zu einer Aggressionssteigerung. Es ist deshalb ein Selbsttor, wenn Linke aufräumen und rechte Zentren zerschlagen wollen, weil sie dann in ihren eigenen Straßen von den Rechten überrascht werden. Gespräch: Gerd Nowakowski
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