: Dem Langweilerverein die Luft abgraben
■ Der Galerist Bruno Brunnet im Gespräch zur Situation aktueller Kunst und der Provinzialität der Berliner Kunstinstitutionen
Um das Geschäft mit der Kunst zu lernen, war Bruno Brunnet vor ein paar Jahren von Berlin nach Köln gegangen. Dort wurde er bald Assistent von Michael Werner, einem der einflußreichsten Galeristen der internationalen Kunstszene. Im letzten Jahr kehrte er nach Berlin zurück, zunächst in die Galerie Fahnemann. Vor einem guten Jahr gründete er seine eigene Galerie „Bruno Brunnet Fine Arts“ in der Wilmersdorfer Straße 60/61. Mit einem gewagten Ausstellungsprogramm, Gesprächen und Lesungen – zum Beispiel Dietrich Diederichsen – hat Brunnet einen für kommerzielle Galerien vorher undenkbaren Standard gesetzt. Nach dem Gespräch mit Clemens Fahnemann (taz vom Freitag, dem 18.12., Seite 26), der seine Galerie zunächst geschlossen hat, ein Interview mit Brunnet, der wie schon Fahnemann die Berliner Kunstlandschaft substantiell kritisiert und bei der Benennung von Problemen kein Blatt vor den Mund nimmt. taz
Werner Köhler: Man kann in letzter Zeit den Eindruck gewinnen, daß in der zeitgenössischen Kunst gegenwärtig eine große Flaute herrscht. Es gibt wenig Impulse, die Verkäufe gehen zurück, viele Galerien machen zu.
Bruno Brunnet: Mit der Krise der zeitgenössischen Kunst, das ist ein sehr zweischneidiges Schwert. Da muß man vorsichtig sein. Ich glaube nicht, daß die Galerien, die direkt mit den Künstlern zusammenarbeiten und die Ware direkt aus dem Atelier bekommen, in besonders großen Schwierigkeiten sind, es sei denn, sie haben keine guten Künstler. Natürlich gibt es Einbußen bei den Preisen, bedingt durch die allgemeine Rezession, aber ich glaube, daß hauptsächlich Leute betroffen sind, die „secondary market“ machen, also sich Kunst von Händlern oder über Auktionen in die Galerie geholt und über Name-Dropping verkauft haben. Das ist vorbei, weil die Preise keiner mehr zahlt. Für die anderen sehe ich keine Schwierigkeiten. Wenn es mir schlecht geht, gibt es immer sechs bis zehn Künstler, die ich anrufen und zu denen ich sagen kann, ich brauche jetzt was und kann erst in einem halben Jahr zahlen, gib mir was. Das funktioniert. Die wollen ja nicht, daß ich den Laden zumache.
Sie haben die Galerie in Berlin jetzt seit über einem Jahr. Wie sind ihre Erfahrungen vor Ort?
Berlin ist nach wie vor abgeschnitten. Die Lage hier hat sich nach dem Mauerfall nicht verändert. Das Publikum für die Sachen, die ich hier zeige, ist ein Westpublikum. Das Ostpublikum interessiert sich dafür nicht und ist auch als Käuferschicht nicht existent. Meine Interessenten wohnen zum größten Teil entweder im Rheinland oder in der Schweiz oder in Süddeutschland. Das ist komisch, aber es ist so. Jetzt habe ich über die Kölner Messe Holland und Belgien für mich entdeckt. Wie soll man aber von jemandem, der in Belgien ist, verlangen, daß der nach Berlin kommt?
Berlin hat im Vergleich zum Rheinland eine relativ provinzielle Stellung, was zeitgenössische Kunst angeht. Wo sehen Sie die Ursachen dafür?
Die Ursachen fangen mit 1933 an. Durch die Nazis ist hier ein Kahlschlag gemacht worden, der kaum behoben werden kann. Das wird noch Generationen dauern. Das ist in Berlin noch schlimmer als in anderen Städten. Dort ist es auch schlimm, aber hier ist es besonders schlimm. Nach dem Krieg kam dann die Teilung der Stadt. Die sogenannte Elite ist abgewandert. In was für einer Branche wollte man in Berlin Karriere machen? Was nach den letzten 40 Jahren übriggeblieben ist, ist einfach eine riesengroße Schar von Mittelmaß in allen Bereichen. Mittelmäßige Künstler, mittelmäßige Professoren an der HdK, mittelmäßige Museums- und Institutsleiter, mittelmäßige Presse. Berlin hat seit Jahren keine Künstler mehr, die im internationalen Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen. Das letzte große Aufbäumen war vor zehn Jahren die heftige Malerei, die noch ein bißchen für internationale Furore gesorgt hat. Das war ein Strohfeuer, das auch verpufft ist, und danach ist nichts mehr gekommen.
Sehen Sie Möglichkeiten, die Situation zu verbessern?
Ich weiß nicht, wie man das schnell ändern könnte. Ich will mit meiner Galeriearbeit versuchen, das langfristig zu ändern. Ich war am Wochenende in Amsterdam und in Mönchengladbach und habe mir die Polke-Ausstellungen angesehen. Daneben sind als ständige Leihgaben Arbeiten aus den Berliner Sammlungen Marx und Onnasch zu sehen, die einem hier ja noch vorenthalten werden. In Amsterdam zeigen sie Polke und Jeff Koons, und wir müssen uns hier 1992 noch einmal Sandro Chia angucken. Wer will das, wen interessiert das? Den haben wir uns schon Mitte der achtziger Jahre in der Kunsthalle in der Budapester Straße angeguckt, und bereits da hatte der gute Mann seinen Zenit überschritten. Die Politik in den Institutionen ist völlig desolat.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Ich nehme an, daß das am Personal liegt. Wenn das Personal richtig geschult oder auf dem internationalen Parkett zu Hause wäre, würde es so einen Quatsch nicht fabrizieren und sich ein wenig mehr anstrengen. Über die Ausstellung von Jeff Koons kann man denken, wie man will, aber er ist ein wichtiger Künstler. Die Ausstellung geht von Amsterdam nach Aarhus und dann nach Stuttgart. Wir haben so viele Häuser hier, von der Akademie über die Kunsthalle, Haus am Waldsee, den Gropiusbau und die ganzen Sachen im Osten. Warum bekommen wir eine solche Ausstellung nicht hierhin? Es gibt zuwenig Leute, die das Format von Joachimides oder von Bastian haben. Vielleicht sind die Leute vergreist oder verkalkt, ich habe keine Ahnung.
Riesenausstellungen wie „Metropolis“ werden ja in der Presse sehr kritisiert und gar nicht so positiv aufgenommen.
Momentan kann man jede große Ausstellung auseinanderpflücken. Das finde ich auch nicht schlimm. Das einzige, was mich interessiert, ist, daß die 150.000 Besucher und über 700 internationale Kritiken gehabt haben. Ich bin an populären Geschichten interessiert, nicht an esoterischen. Vielleicht wird durch eine Ausstellung wie „Metropolis“ bei 200 Leuten ein ernsthaftes Interesse geweckt, und das ist gut. In einer Stadt wie Berlin, die den Anspruch hat, Hauptstadt und Kunstmetropole zu sein, geht es nicht an, daß nur alle zwei Jahre so eine Veranstaltung gemacht wird. Dafür braucht man aber Personal, das das will und es auch kann. Die Kunsthalle beispielsweise, da schaue ich mir erst Günter Grass an, dann muß ich mir die „Polnische Avantgarde“ ansehen. Das ist doch alles Schnee von gestern, so etwas von abgegrast und abgegessen. Wenn die schon eine Art von „Schlechtes-Gewissen“-Politik machen, dann mag das alles schön und gut sein – in der Provinz. Das muß man doch nicht in der Hauptstadt machen.
Da wäre auch die Arbeit der Kunstvereine in diesem Zusammenhang zu erwähnen, wenn man vergleicht, was beispielsweise Münster oder Frankfurt zustande bringen. Hier orientieren sich die Kunstvereine ja eher lokal.
Was soll ich dazu sagen? Man kann nur hoffen, daß da mal ein frischer Besen kehrt. Das ist insgesamt derart uninteressant und provinziell, da fällt mir gar nichts zu ein. Das kennt doch außerhalb Berlins überhaupt keiner. Das Level in Berlin ist zu niedrig, es ist provinziell. Das hängt damit zusammen, daß die Leute zuwenig reisen, vielleicht weil es zu anstrengend und zu kostenintensiv ist, aber das ist doch die Voraussetzung dafür, daß man informiert ist darüber, was in den Kunstzentren passiert.
Lucie Schauer (Berliner Kunstverein) und auch Jörn Merkert (Berlinische Galerie) haben mir Briefe geschrieben, sie hätten nicht die Zeit, zu mir zu kommen. Ich weiß nicht, was die den ganzen Tag machen. So viele interessante Sachen können sich die nicht angucken, dann würden sie bessere Sachen ausstellen. Es kann mir auch keiner erzählen, daß kein Geld für einen Flug da ist, um sich mal anzusehen, was draußen so passiert. Diese lokale Wurschtelpolitik ist etwas, was dieser Stadt schon seit Jahren schadet. Solange das von politischer Seite unterstützt wird, wird sich auch überhaupt nichts ändern. Da kann man nur die ganze Zeit meckern und versuchen, gute Arbeit in der Galerie zu machen, Leute herholen, Diskussionen initiieren, die Presse versuchen zu involvieren, dem ganzen Langweilerverein versuchen, von unten die Luft abzugraben.
Wie sehen Sie denn die Informationsqualität der Berliner Medien hinsichtlich der Kunstberichterstattung?
Für das, was ich und ein paar andere Kollegen von mir in den Galerien machen, gibt es den „Tagesspiegel“, die „taz“, die „FAZ“ und „Zitty“. Ich glaube, daß, wenn man nicht so nach dem Gießkannenprinzip vorgehen würde – der wird bedacht, und der wird bedacht –, daß das effektiver wäre. Nun haben wir natürlich hier in Berlin 300 Läden, die sich Galerie nennen. Galerien, die wirlich ernsthafte und professionelle Galeriearbeit leisten, das sind vielleicht fünfzehn. Wenn alles irgendwie zählt, dann ufert das aus, dann tritt auch eine Verunsicherung und eine Verwirrung des Publikums ein, die völlig unsinnig ist. Wenn es natürlich darum geht, Stadtteilkultur zu pflegen, na gut, dann habe ich eben Pech gehabt. Aber ich glaube, man sollte viel mehr in diesen professionellen Bereich reinstoßen, denn das Publikum interessiert sich dafür. Das müßte nur anders informiert werden, ausführlicher und über weniger Sachen. Und dann sollte Meinungsjournalismus und nicht Beschreibungsjournalismus betrieben werden. Die Kritiker sollten sagen, das ist Scheiße, was du da siehst, und zwar aus dem und dem Grund, oder aber, es ist großartig aus dem und dem Grund. Man muß regelmäßig informiert werden, was läuft da ab, damit das Publikum auch merkt, da gibt es eine Kontinuität. Jede Rezension in einer Tageszeitung bringt mir zwanzig oder dreißig Leute in die Galerie, und die kommen nach dem ersten Mal immer wieder.
Erwarten Sie sich von der Ansiedlung solcher Unternehmen wie Sony, Mercedes usw. eine potente Käuferschicht, einen Zulauf an Leuten, die sich für Kunst interessieren?
Mag sein. Kann ich nicht beurteilen. Das alles braucht seine Zeit. Ich glaube, das Entscheidende ist eher, daß es solche großen Blockbuster-Ausstellungen geben müßte, das macht die Stadt interessanter, das zieht die Leute von außen hierher. Wer hierher kommt, um sich so eine Ausstellung anzusehen, kommt dann vielleicht auch mal in die Galerie. Ich zeige hier ja keine Provinzposse, sondern das hat ein hohes Niveau und entspricht dem, was man in anderen Zentren auch sehen kann. Aber es wird alles sehr lange dauern. Vielleicht muß sich auch grundsätzlich die Stimmung wieder ändern. Die ganze politische Scheiße, die jetzt abgeht, der Rechtsradikalismus ist bedrohlich, die Leute kommen nicht mehr nach Deutschland, Kontakte sind gestört. Außerdem ist eine wirtschaftliche Rezession keine Zeit, wo Kunst und Kunstmarkt sich entwickeln. Wenn alles wackelt, tritt eine Verunsicherung ein, und ich glaube auch nicht, daß in solchen Wackelzeiten besonders interessante Kunst entsteht.
Es gibt ja den Vorwurf, daß die zeitgenössische Kunst elitär ist, unverständlich, sich nur mit sich selbst beschäftigt und nicht auf relevante gesellschaftliche Probleme eingeht.
Mich interessiert meist keine Kunst, die direkt gesellschaftliche Probleme thematisiert. Wenn Sie das macht, dann ist sie zeitbezogen, und das finde ich nicht besonders gut. „Kunst ist Kunst, und alles andere ist alles andere.“ Die Kunst soll in ihrem Bereich bleiben, und da soll sie ernsthaft und gut arbeiten. Das betrifft alle Beteiligten: Künstler, Galeristen, Sammler, Kritiker, Museumsleute. Die sollen nicht anfangen zu schluren, sondern ihre Hausaufgaben richtig machen. Sollen sich informieren, lesen, sich angucken, was ist wichtig, was ist nicht wichtig. Subjektive Entscheidungen treffen.
Ich will, daß die Leute ihre Liebe für die Kunst entdecken und vielleicht merken, daß, wenn ich mich damit beschäftige, mein Leben einen positiven Impuls bekommt. Ich kann mich einklinken in ein System, das es in der ganzen Welt gibt, von Grönland bis nach Soveto und von Japan bis nach Neuseeland. Das funktioniert ja überall. Man kann durch Kunst sein Leben positiv gestalten. Vielleicht ist das sogar eine Möglichkeit von Gesellschaftsveränderung, wenn auch nur im kleinsten Bruchteil. Mit Bruno Brunnet
sprach Werner Köhler
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