Spenden-TÜV: Kleine haben keine Chancen

■ DZI-Spendensiegel: Ausgrenzung der "schwarzen Schafe" unter den Hilfsorganisationen geht auch auf Kosten der kleinen entwicklungspolitischen Organisationen: Ohne Siegel bleiben sie ohne Spenden

Endlich ist es soweit. Der undurchdringliche Dschungel des deutschen Spendenmarktes wird gelichtet. Alle Menschen, die zur Weihnachtszeit Gutes tun wollen, wird die verbindliche Handreichung geliefert, an wen guten Gewissens gespendet werden kann. Das jedenfalls suggeriert das vom Deutschen Zentralinstitut für Soziale Fragen (DZI) in Berlin vergebene „Spendensiegel“, das mit publizistischem Aufwand der Öffentlichkeit präsentiert wird. Doch es mehren sich die Stimmen, die diesen Spenden-TÜV auch problematisch finden.

Je bekannter das Siegel in der Öffentlichkeit wird, desto mehr werden auch Organisationen darauf angesprochen, die bei der derzeitigen Kapazität und Zielsetzung des DZI überhaupt keine Chance hätten, das Siegel zu bekommen, obwohl sie nicht zu den „Haien“ des Marktes gehören.

Um das Siegel zu erhalten, muß eine Organisation die Einhaltung von insgesamt elf Kriterien in der Vergangenheit nachweisen und für die Zukunft versprechen. Dazu gehören unter anderem die wahrheitsgemäße Verwendung der Spendengelder und eine transparente Buchhaltung. Die Werbung darf nicht nur gefühlsbetont sein und muß die Würde des Menschen wahren.

Darüber hinaus muß die Organisation Unterlagen für eine fast komplette betriebswirtschaftliche Prüfung einreichen und eine Gebühr zahlen, die je nach Höhe des Spendenaufkommens gestaffelt ist. Und: Die Organisation muß einigermaßen groß sein. Denn das Ziel des DZI, so Geschäftsführer Lutz Worch, ist zunächst die Prüfung der 200 bis 250 größten Organisationen.

Auf diese „Marktführer“ entfällt das größte Stück des auf über vier Milliarden D-Mark jährlich geschätzten Spendenkuchens in Deutschland.

„Da schaltet eine Kindergarteninitiative aus Hamburg einen Spendenaufruf in der Lokalzeitung, um für ein Partnerprojekt Geräte zu kaufen. Prompt werden sie gefragt, wo denn das Spendensiegel ist“, berichtet Eberhard Bauer vom Weltfriedensdienst e.V. (WFD). Er ist einer der Sprecher des „Bensheimer Kreises“, eines Zusammenschlusses von Nichtregierungsorganisationen, der an der Entwicklung der Kriterien des DZI beratend beteiligt war. „Wir haben feststellen müssen, daß sich gerade unsere Vorstellungen zum Schutz der kleinen Organisationen nicht voll durchgesetzt haben.“ Zwar hat der Weltfriedensdienst mittlerweile das Spendensiegel, doch auch der WFD hat lange gezögert, das Siegel zu beantragen. „Wir haben auch die Arbeit gescheut, die dazu notwendig war“, sagt Bauer. Drei komplette Arbeitstage hat das Büro des Weltfriedensdienstes benötigt, um alle Unterlagen zusammenzustellen. „Aber wir hatten das Gefühl, daß gerade wir als kleine Organisation unter die Räder kommen, wenn wir das nicht machen. Über kurz oder lang wird da niemand drum herumkommen.“

Dabei ist der Weltfriedensdienst noch nicht einmal die kleinste der kleinen Organisationen. Lokale Initiativen, die ganz ohne Büro und hauptamtliche Kräfte in Deutschland auskommen müssen, haben praktisch keine Chance, das Siegel zu erhalten. Dieter Radde vom Nicaragua-Städtepartnerschaftsverein Kreuzberg-San Rafael: „Wir haben das DZI angeschrieben, um die Unterlagen zu erhalten. Wir erhielten nur einen Brief zurück, daß das DZI uns nicht prüfen kann.“ Kein Siegel also. Auch Eberhard Bauer meint: „Man muß das ganze so öffnen, daß auch die kleinen Organisationen die Chance haben, da reinzukommen, sonst verzerrt das den Wettbewerb.“

Aber nicht nur die Kleinen und Unbekannten beklagen sich. Rupert Neudeck, prominenter Präsident des Cap-Anamur-Komitees, schreibt: „Es gibt auch Organisationen, die so wenig Apparat haben und weiter haben wollen, daß sie nicht die Zeit und Kraft haben, den bürokratischen Aufwand zu leisten. Also, wir haben immer brav unsere Jahresabschlußberichte an das DZI geschickt. Außerdem immer alles, was DZI haben will. Mehr geht nicht. Dann müßten wir fast schon die erste Ganztagskraft einstellen – aber Cap Anamur hat bis heute in Deutschland nur eine Halbtagssekretärin angestellt.“

Die Scheu vor dem Aufwand teilen viele Organisationen. Helga Exner von „Berlin Hilft e.V.“ befürchtet, daß gerade die Kleinen bald keine Lust mehr haben könnten. „Die tun sich eh schon schwer. Und wenn dann noch so was dazu kommt, dann sagen die irgendwann: Nun lassen wir's.“

Derzeit wird im DZI daran gearbeitet, den Fragebogen umzugestalten. Auch die Leitlinien sind in Überarbeitung. Vorerst aber bleibt das Problem: Wer kein Siegel hat, muß nicht zu den „schwarzen Schafen“ gehören. Es ist, als wenn die Abgas-Plakette ASU nur Autos ab 100 PS gewährt würde und nur zehn Wagen am Tag getestet werden könnten. Alle die es nicht haben, kommen in den Verdacht des Umweltsünders – dabei stinken nur einige deutlich mehr als die Plakettenträger. Bernd Pickert