: Gala-Abgang für Hartwig Kelm
■ Der HR-Intendant wird im April 1993 zurücktreten
Frankfurt (AFP/AP/dpa/taz) – Der Intendant des Hessischen Rundfunks, Hartwig Kelm, hat seinen vorzeitigen Rücktritt zum 30.April 1993 angekündigt. Damit reagierte der 59jährige am Freitag im Rundfunkrat des HR auf den zunehmenden Druck aus Politik und Aufsichtsgremien. Kelm war in den vergangenen Monaten finanzielle Mißwirtschaft im hessischen Sender und undurchsichtiges Finanzgebaren vorgeworfen worden. Die Amtszeit des seit 1986 amtierenden Intendanten wäre regulär am 30. April 1994 ausgelaufen. Zuvor hatten sich die Aufsichtsgremien des Senders mit Kelm auf die Entlastung des Intendanten geeinigt. Im Herbst hatte Kelm nach seinem Jahresbericht für 1991 auf die Entlastung verzichtet, nachdem die ersten Ungereimtheiten im HR im Zusammenhang mit der ARD-Silvester-Gala bekannt geworden waren. „Ich öffne den Weg für einen Neubeginn“, erklärte Kelm, der zunächst versucht hatte, die Krise mit dem „Bauernopfer“ zweier Direktoren des Senders zu meistern.
Der parteilose Chemieprofessor Hartwig Kelm, der als Kandidat der CDU auf den Intendantenstuhl beim Hessischen Rundfunk in Frankfurt gekommen war, erwarb sich in seiner Amtszeit einen Ruf als liberaler Kopf, der um einen progressiven Kurs bemüht war. Der frühere Präsident der Frankfurter Goethe-Universität war nicht bereit, den Parteien den Einfluß auf die Personalpolitik des Senders zuzugestehen, den diese für selbstverständlich hielten.
Kelm wurde am 15.April 1933 als Sohn eines Justizbeamten in Schmalkalden in Thüringen geboren. In Frankfurt studierte er Chemie, promovierte 1962 und ging für einige Jahre in die USA. 1970 wurde er an die Uni Frankfurt als Honorarprofessor berufen. 1975 wurde Kelm zum Vizepräsidenten, 1979 gegen den Protest der Studenten zum Präsidenten der Universität gewählt. – Der Rechnungshof hatte dem Hessischen Rundfunk vorgeworfen, fortgesetzt gegen das „Gebot wirtschaftlicher Finanzgebarung“ verstoßen zu haben. Die Prüfer hatten neben der gesponserten ARD-Silvestergala 1991 weitere 16 Produktionen und Projekte unter die Lupe genommen und dabei einen Millionenschaden festgestellt.
Kelm war auch wegen eines Kontos unter Druck geraten, das er und der Leiter der Unterhaltungsabteilung im Hörfunk eröffnet hatten. Das Konto soll monatelang an der Verwaltung des Senders vorbei unterhalten worden sein. Im Zuge der Affäre hatte Kelm den Fernsehprogrammdirektor Hans-Werner Conrad und den Verwaltungsdirektor Artur Jerger vorübergehend beurlaubt.
Über die Nachfolge Kelms fiel noch keine Entscheidung. Als aussichtsreichster Kandidat gilt aber der Justitiar des Norddeutschen Rundfunks, Klaus Berg.
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