■ Mit dem guten Stern auf du und du: Irrfahrt in rote Zahlen
Berlin (taz) – Edzard Reuter ist sichtlich dünnhäutiger geworden. Der Chef des größten deutschen Industriekonzerns, der Zahlen gar nicht liebt und lieber zum Philosophieren neigt, muß sich neuerdings mit massiven Absatz- und Ertragsproblemen seines Konglomerats herumschlagen. Bei Daimler-Benz, vor drei Jahren noch als zukunftsträchtiges und prosperierendes Unternehmen gefeiert, scheint sich das Gesetz der schwarzen Serie zu bestätigen: Nachdem die marode Elektrotochter AEG und der Luft- und Raumfahrtkonzern Dasa bereits im letzten Jahr rote Zahlen schrieben, hat es nun auch die Autobauer erwischt: Der Nobelkarossenhersteller Mercedes-Benz, so will der Spiegel erfahren haben, ist durch einen deutlichen Absatzeinbruch erstmals in den letzten zehn Jahren in die Verlustzone geraten. Im Ergebnis droht dem Daimer- Imperium mit dem Stern zur Jahreswende eine böse Bescherung: Das Betriebsergebnis, für die Mega-Manager um Reuter einzige Meßlatte des Erfolgs, soll für 1992 ein Minus von 1,1 Milliarden Mark ausweisen. Im letzten Jahr hatte diese nach einer internen, geheimgehaltenen Formel errechnete Kennziffer noch einen Überschuß von 600 Millionen Mark ergeben.
Den Rechenkünstlern in der Möhriger Konzernzentrale dürfte es wohl nicht mehr gelingen, eine weitere Hochglanz-Bilanz vorzulegen. Schließlich ist Mercedes nach wie vor die Milchkuh des Daimler-Gemischtwarenladens: Mehr als zwei Drittel des Umsatzes (1991: 95 Mrd. Mark) und drei Viertel des Gewinns (1991: 1,94 Mrd. Mark) entfallen auf den Fahrzeugbereich. Doch gerade dort läuft nichts mehr so, wie es laufen sollte. Angesichts der Automobilkrise steuert Mercedes, wie der Sanierungsfall Volkswagen, auf einen Crash zu. Allein in Deutschland, so der Spiegel, sollen die Verkaufszahlen der erfolgsverwöhnten Stuttgarter in den ersten zehn Monaten dieses Jahres um 12,4 Prozent gesunken sein. Einen noch stärkeren Einbruch habe Mercedes nur durch großzügige Rabatte oder günstige Leasing- Angebote vermeiden können. Für Absatzhilfen in den USA mußte angeblich sogar ein dreistelliger Millionenbetrag aufgewendet werden. Nun rächt sich die fatale Politik der Autobauer, die auf immer größere, stärkere und teurere Schlitten setzten. Symbol für die Überheblichkeit der Autobauer um „Mister Mercedes“ Werner Niefer wurde die nur schwer verkäufliche S-Klasse, deren über zwei Tonnen schwere und 20 Liter Sprit schluckende Luxusliner einfach nicht mehr in die Zeit passen. Erstmals in der Firmengeschichte haben die Mercedes-Lenker für den Personenwagenbereich für Anfang 1993 Kurzarbeit verordnet. Bis Ende 1994 sollen bei Mercedes knapp 30.000, im Daimler-Konzern insgesamt über 40.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Doch Daimler-Chef Reuter verkündet weiter tapfer, sein Unternehmen sei auf dem richtigen Weg. Erwin Single
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