: Auch Arbeitgeber gegen einseitige Sozialkürzungen
■ „Streichlisten“ der Regierung gefährden „Solidarpakt“/ Murmann warnt vor „Umkrempeln“ der Sozialhaushalte, CDU-Mann Hintze lobt Ausgewogenheit
Bonn (AFP) – Im Streit um den geplanten Solidarpakt zum Aufbau Ostdeutschlands haben sich jetzt auch die Arbeitgeber gegen einseitige Kürzungen von Sozialleistungen gewandt. Arbeitgeberpräsident Klaus Murmann bezeichnete es als falsch, die Struktur der Sozialhaushalte „völlig umzukrempeln“. Er fürchte, daß die Gewerkschaften den Solidarpakt nicht mittrügen, „wenn überwiegend in der Sozialgesetzgebung gestrichen wird und die andere Seite weitgehend verschont bleibt“. Das SPD-Präsidium warnte die Bundesregierung davor, mit unsozialen „Streichlisten“ den Solidarpakt zu gefährden.
CDU-Generalsekretär Peter Hintze rechnet dagegen nicht mit einem Scheitern des Solidarpakts an Einschnitten bei den Sozialleistungen.
Murmann hielt Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in der Neuen Osnabrücker Zeitung (Montagausgabe) vor, er habe sich mit den Gewerkschaften auf die Erhaltung der industriellen Kerne in Ostdeutschland geeinigt, „ohne auch nur ansatzweise eine verbindliche Gegenleistung der Gewerkschaften einzufordern“. Es müsse im Osten wie im Westen eine Tarifpolitik verabredet werden, die sich den wirtschaftlichen Notwendigkeiten orientiere. „Wenn die Gewerkschaften einen solchen Tarifkurs nicht mitfahren, dann scheitert der Solidarpakt“, sagte Murmann.
Die SPD warf der Bundesregierung vor, mit ihren Plänen für Sozialkürzungen „die Türe zu seriösen Solidarpaktgesprächen“ zuzuschlagen. Eine Chance für die Verhandlungen bestehe allenfalls, wenn Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) endlich sozial gerechte und konjunkturpolitisch vernünftige Finanzierungsvorschläge zum Aufbau Ostdeutschlands vorlege, hieß es in einer Erklärung des SPD-Präsidiums.
Kohl müsse vorliegende „Streichlisten“ unverzüglich zurückziehen und neue sozial ausgewogene Konzepte anbieten. „Gerade wenn die Zeiten karger werden, muß der Gedanke der sozialen Gerechtigkeit um so stärker im Vordergrund stehen.“
Hintze sagte im Deutschlandfunk, die soziale Ausgewogenheit solle beim Solidarpakt auf jeden Fall gewahrt werden. Es sei nie daran gedacht worden, die gesamte Palette der vorgeschlagenen Kürzungen auszunutzen. Dies würde zu unerträglichen Härten führen.
Für den Solidarpakt zum Aufbau Ostdeutschlands sollten auch Steuervergünstigungen und Subventionen gestrichen werden. Beamte müßten ebenso wie die Gewerkschaften ihren Beitrag zu maßvollen Lohnabschlüssen leisten. Nach den Worten des Vorsitzenden der CDU-Programmkommission, Reinhard Göhner, ist der Solidarpakt der Testfall dafür, ob Besitzstandswahrung in der Gesellschaft mehr gelte als Gemeinsinn. Jetzt müsse sich zeigen, ob die einzelnen bereit seien, ihre Besitzstände in Frage zu stellen.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks bot einen freiwilligen Verzicht auf zehn Prozent der staatlichen Subventionen bei der Gewerbeförderung an. In einer Erklärung des ZDH hieß es, den Unternehmen würde durch einen Fehlschlag der Haushaltskonsolidierung größerer Schaden zugefügt als durch zeitweilige Einschränkungen bei den Fördermitteln.
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