Gruben mit Gnadenfrist

■ Britisches Gericht erklärt Stillegung von Bergwerken für gesetzwidrig

London (taz) – Bei der britischen Regierung herrschte gestern Ratlosigkeit über die Zukunft der Bergbauindustrie, nachdem ein Londoner Gericht am Montag nachmittag die Stillegung von 31 Bergwerken für gesetzwidrig erklärt hatte. Industrieministers Michael Heseltine zunächst wollte die Gruben ursprünglich bereits am 13. Oktober schließen und mehr als 30.000 Kumpel auf die Straße setzen, hatte jedoch die Reaktion der Öffentlichkeit gründlich unterschätzt. Aufgrund der Protestwelle – auch in der eigenen Partei – machte er nur sechs Tage später einen kosmetischen Rückzieher: zehn Bergwerke sollten erst nach der vorgeschriebenen Anhörungsfrist von 90 Tagen geschlossen werden, über die Wettbewerbsfähigkeit der übrigen 21 Kohlegruben sollte eine unabhängige Untersuchungskommission befinden. Doch dieser Kompromiß war eine Woche später schon Makulatur – neun der zehn betroffenen Bergwerke wurden trotz gegenteiliger Beteuerungen stillgelegt. Und auch mit der Unabhängigkeit der Kommission war es nicht weit her: der Tory-Abgeordnete Michael Clark, der einen leitenden Posten in der Kommission bekleidet, erhält Anfang nächsten Jahres einen Beratervertrag mit der Gasindustrie – der schärfsten Konkurrenz des Kohlebergbaus.

Mit der fehlenden Unabhängigkeit begründete Richter Glidewell auch sein Urteil vom Montag. Die Reaktionen der Bergarbeiter reichten gestern von Freude bis Mißtrauen. „Man sagte uns, wir müßten die Produktivität erhöhen“, meinte ein Kumpel aus Sharlston. „Also haben wir sie verdoppelt. Dann sagten sie: Tut uns leid, aber wir brauchen die Kohle jetzt nicht mehr. Vielleicht ändert das Urteil ja etwas.“

Während die Bergarbeiter weiterhin nicht wissen, woran sie sind, haben Tory-Rebellen und Labour- Politiker die Gerichtsentscheidung als „Durchbruch“ begrüßt. NUM- Gewerkschaftsboß Arthur Scargill sagte: „Das Urteil bedeutet, daß diese Bergwerke sofort die Produktion wiederaufnehmen müssen.“ Das ist jedoch leichter gesagt als getan. 5.300 Kumpel haben bereits Abfindungen für ihre Entlassung akzeptiert.

Und entgegen den gesetzlichen Vorschriften hat die Kohlebehörde British Coal die meisten der neun Gruben, die Ende Oktober geschlossen wurden, verkommen lassen. In Silverhill in Nottinghamshire sind sogar zwei Schächte eingestürzt und haben Maschinen im Wert von 5,5 Millionen Pfund begraben. Wegen dieser „enormen Verschwendung von Steuergeldern“ forderte Scargill den Rücktritt Heseltines. Der denkt jedoch gar nicht daran. „Meine Position ist unverändert“, sagte er nach der Urteilsverkündung. „Das Urteil von heute hat nichts zu der Kontroverse um die Stillegungen beigetragen. Es war damals klar, wie schwierig das ist – und das Urteil hat das bestätigt.“ Ralf Sotscheck