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Streit um Archiv der „Freien Deutschen Jugend“

■ Treuhand stellt Akten im „Institut für zeitgeschichtliche Jugendforschung“ sicher

Pankow. Dem „Institut für zeitgeschichtliche Jugendforschung“ (IzJ) in Pankow ist die Grundlage für die wissenschaftliche Forschungsarbeit entzogen worden. Zwei Tage vor Weihnachten bekamen die Mitarbeiter in der Thulestraße 48 überraschend Besuch: Vertreter der Treuhandanstalt, der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR und des Bundesarchivs ließen das Archiv samt der Karteikarten in Magazinräume des Instituts verbringen und vorsorglich die Schlösser auswechseln. Zwar können die 32 Mitarbeiter des IzJ weiterhin ihre Büroräume betreten – der Zugriff auf das Archiv der ehemaligen DDR-Jugendorganisation „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ), das rund 3.000 Meter laufende Akten, 30.000 Fotodokumente und eine ebenso große Anzahl von FDJ-Broschüren umfaßt, bleibt ihnen seit Dienstag jedoch verwehrt.

Während IzJ-Direktorin Helga Gotschlich gestern von einer „rechtswidrigen Handlung“ sprach, verteidigte die Treuhand die Aktion, die vom Bundesinnenministerium angeordnet worden war. Von einer Beschlagnahme könne keine Rede sein, lediglich die „räumliche Unterbringung“ der Karteikarten sei verändert worden, sagte ein Sprecher.

Hintergrund ist ein seit langem schwelender Rechtsstreit um die Eigentumsfrage der FDJ-Akten. Das IzJ, im Sommer 1990 von der damaligen Akademie der Wissenschaften der DDR gegründet, stützt sich auf einen Beschluß des FDJ-Vorstandes, der die Akten dem Institut im Juni 1990 übereignete. Demgegenüber halten die Treuhand und die Unabhängige Kommission diese Übereignung für unwirksam, da sie von ihnen nicht genehmigt wurde. Trotz Übergabe an das Institut, so betonte die Treuhand gestern, sei die FDJ die ganze Zeit über Eigentümerin der Akten gewesen. Deshalb habe das Bundesarchiv die Akten auch seit Dezember 1991 im Auftrag der Treuhand verwaltet.

Nur einen Tag vor der Aktion schlossen Bundesarchiv und Bundesinnenministerium mit dem geschrumpften Rest-Verband der FDJ einen Vertrag, der die Akten in eine unselbständige Stiftung des Bundesarchivs einbringt, die ab 1.Januar 1993 Parteien und Massenorganisationen der DDR erforschen soll.

Das IzJ widersetzte sich bis zuletzt dem Beitritt zu dieser Stiftung, weil unter anderem der Verbleib des Archivs in der Thulestraße und die Übernahme wissenschaftlicher Mitarbeiter von staatlichen Stellen verweigert worden war. Statt dessen unterschrieb das IzJ, das bis Ende dieses Jahres von einem westdeutschen Industriellen finanziert wurde, kürzlich einen Vertrag mit dem renommierten „Institut für Sozialgeschichte“ in Amsterdam, das seit Jahren Dokumente der deutschen Arbeiter- und Alternativbewegung verwaltet. Severin Weiland

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