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Die GUS – eine ungeliebte Gemeinschaft

■ Der Streit der Erbengemeinschaft der ehemaligen UdSSR

„Commonwealth“ nannte man es hochtrabend, was sich letztes Jahr plötzlich aus den Trümmern der ehemaligen Sowjetunion erhob. Die „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“ (GUS) wurde ins Leben gerufen von den Präsidenten der drei slawischen Republiken Rußland, der Ukraine und Weißrußland. Später kamen die asiatischen Republiken hinzu. Nur Moldawien, Aserbaidschan und Georgien scheuten von vornherein das neue Zweckbündnis. Jedoch: Zum Zeitpunkt ihres Entstehens konnte die GUS schon kein „Commonwealth“ mehr sein – ihr Einigungsprozeß kam zu spät.

Ironie der Geschichte: die einander mißtrauenden Republiken rauften sich zu einem temporären Bündnis zusammen, dessen vornehmliches Ziel darin bestand, den Vater des „Commonwealth“, Gorbatschow, in seiner Funktion als Präsident der UdSSR kaltzustellen. Zu jenem Zeitpunkt war die Vorstellung von einem starken russischen Zentrum für die meisten Republiken keineswegs mehr akzeptabel.

Eine Bewertung dessen, was in der GUS im Laufe ihres einjährigen Bestehens fabriziert worden ist, fällt außerordentlich schwer. Bis heute verfügt sie über keine gemeinsame Satzung trotz zahlreicher Bemühungen. Die meisten Mitgliedsstaaten fürchten eine erneute zentrale Vernetzung, über die Rußland unter politischem Gegenwind wieder die dominierende Rolle beanspruchen könnte. Auch Ansätze, die eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik vorsahen, sind nicht weit gediehen. Zwar will man ein gemeinsames Parlament mit Sitz in Sankt Petersburg gründen. Seine Funktion wird die Rolle einer Informationsbörse jedoch nie übersteigen. Die Entscheidungskraft jeglicher gemeinsamer Institutionen und Kommissionen machen vor den Staatsgrenzen halt. Beschlüsse werden kaum umgesetzt.

Die GUS erfüllte dennoch einen ganz wesentlichen Zweck. Sie stabilisierte den Zerfall der UdSSR, indem sie half, deren Vernetzung halbwegs friedlich zu entflechten.

Nichts kann diese Zweckgemeinschaft mit neuem Leben erfüllen. Der Präsident Kasachstans Nasarbajew machte sich zum lautstärksten Befürworter der GUS mit zahlreichen Initiativen. Auf den Gipfeltreffen der GUS-Staaten fand er nie eine Majorität für seine Vorhaben unter den Teilnehmern. Die lassen die alten Bande jedoch nicht einfach abreißen. Statt über eine Koordinationsstelle zu arbeiten, die mit Sicherheit im slawischen Teil läge, ziehen sie es vor, über bilaterale Verträge die notwendigen Kontakte weiter zu pflegen.

Präsident Jelzin und sein Außenminister Kozyrew mußten sich von konservativen und nationalpatriotischen Kräften harte Kritik gefallen lassen. Die Westorientierung Rußlands im letzten Jahr habe die „angestammten“ Interessen Moskaus im euroasiatischen Raum vernachlässigt und den Vorhof anderen Mächten geräumt. Der Türkei etwa, die zunehmend in den turksprachigen und moslemischen Nachfolgestaaten Fuß zu fassen sucht. Und die Amerikaner haben sich in Georgien bis an den Südrand des Kaukasus, der Grenze mit der Russischen Föderation, vorgepirscht. Jelzin verfolgte anfänglich einen reinen Westkurs, den er in letzter Zeit korrigiert, indem er nach Südkorea und Asien schaut. Er mahnte auch seinen Außenminister, dem ehemaligen Reich mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Dennoch scheint Rußlands Haltung eher pragmatischen Erwägungen zu folgen. Für Jelzin stand von vornherein fest, ohne die Ukraine könne eine „Gemeinschaft“ keinen dauerhaften und ertragbringenden Erfolg haben. In Kiew wehrt man sich mit Händen und Füßen gegen eine Funktionserweiterung der GUS. Hier sitzen die entschiedensten Gegner einer neuen Verflechtung. Die schwelenden Konflikte zwischen Moskau und Kiew in militärischen und territorialen Fragen konnten im Laufe des Jahres nicht beigelegt werden. Man hat sie nur vertagt, um in anderen Fragen ein Stück weiter zu kommen.

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