Möllemann braucht Wunderheiler

■ Neuer Minister-Brief aufgetaucht/ Autor urlaubt weiter/ Ausschuß tagt Anfang Januar

Berlin (taz/dpa/AP) – Die rastlose Sorge des Wirtschaftsministers Jürgen Möllemann um den deutschen Mittelstand zieht nicht nur in Bonn lauter werdenden Unmut nach sich. Der Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans Joachim Langmann, erklärte, wenn Möllemann die Unwahrheit über seine Unkenntnis des Schreibens gesagt habe, müsse er zurücktreten und sei „nicht mehr tragbar“. Vergleichbar äußerte sich der DGB-Vorsitzende Heinz- Werner Meyer. Der Werbebrief des Wirtschaftsministers für Produkte seines angeheirateten Vetters ist, wie jetzt bekannt wurde, in siebenfacher Ausführung (statt in drei- bis vierfacher) an Supermarktketten der Republik versandt worden.

Unterdessen haben die SozialdemokratInnen im Bundestag eine Sitzung des Wirtschaftsausschusses spätestens am 11. Januar verlangt – ein Begehr, dem der Ausschußvorsitzende Friedhelm Ost (CDU) bereits nachgekommen ist. Letzterer gab zu, die bisherigen „Widersprüche“ in der Darstellung Möllemanns und seiner Mitarbeiter zur Briefbogen-Affäre bedürften der Aufklärung. Möllemanns persönliches Erscheinen vor dem Untersuchungsausschuß sei unerläßlich, seine Mitarbeiter wie des Ministers Vetter müßten sich gegebenenfalls zur Verfügung halten. Gerade in konjunkturschwachen Zeiten sei wichtig, „daß die Bürger nicht das Vertrauen in die Politik und die Politiker verlieren“. Damit hat die Affäre auf parlamentarischer Ebene eine Bedeutung angenommen, die über die üblichen fraktionellen Personalquerelen hinausgeht und einen Rücktritt des Ministers wahrscheinlicher macht.

Inzwischen hat die leidenschaftlich um Wahrheitsfindung bemühte Bild-Zeitung einen von Möllemann unterschriebenen (?) Brief veröffentlicht, in welchem derselbe einen in seinem Wahlkreis Warendorf tätigen Wunderheiler dem Gesundheitsamt persönlich für die Genehmigung als Heilpraktiker empfiehlt. In Möllemanns Begründung für diese Unterstützung des Mittelstands heißt es, als Liberaler vertrete er „nun mal den Grundsatz, daß jeder nach seiner Facon glücklich werden soll, wenn er dadurch keinem anderen schadet“. Unklar ist bisher, ob der (trotz Möllemanns Aufforderung vom Gesundheitsamt nicht zugelassene) Wunderheiler dem Wirtschaftsminister zum Glücke verholfen hat, unumstritten ist lediglich, daß Möllemanns Glücksfacon dieser Republik bisher durchaus geschadet hat: die Erinnerung an die Interessenvertretung des FDP- Bundestagsabgeordneten für deutsche Waffenfirmen, an die Versuche des Vorsitzenden der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft und Staatsministers in Personalunion, den Verkauf von deutschen „Leopard“-Panzern an Saudi- Arabien zu legalisieren, und andere Kleinigkeiten ist offenbar noch nicht getilgt.

Auf Rückfragen gab der Sprecher des Ministers, Reinhard Krause, an, Möllemann erhole sich an seinem Urlaubsort in der Dominikanischen Republik nach wie vor gut, eine Verkürzung der Ferien sei bislang nicht geplant.

Möllemanns durables Selbstvertrauen scheint auch hier unerschöpflich, ist aber womöglich täuschend: da Rücktritt oder auch Entlassung in der BRD nicht mit politischem Versagen, sondern mit politischen Formfehlern begründet zu werden pflegen, könnten diese läßlichen Sünden des Ministers letzte sein. ES

Dokumentation des Wunderheiler-Briefes

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