: Das ganze Taschengeld für 320 Kracher
Alle Jahre wieder werden die Deutschen in der Silvesternacht zu Pyromanen/ Seit gestern boomt das Geschäft mit den Knallern und Leuchtraketen – vor allem bei Jugendlichen ■ Von Plutonia Plarre
Berlin. Frustriert steht der 13jährige Alexander in der Rheinstraße vor der Feuerwerks-Sonderverkaufstelle und wartet. Er hat sein ganzes Taschengeld zusammengekratzt, um einen „Schinken“ zu erwerben – so heißen die Großpackungen mit 320 China- Krachern – aber daraus wird jetzt nichts, weil er noch keine 18 ist. „Zum dumm, daß die Verkäufer so pingelig sind“, schimpft der Siebtklässler und blickt voller Neid auf die Kinder, die mit ihren Eltern vollgepackt mit Kracher-Paketen aus dem Geschäft kommen. „Meine Mutter findet, daß man für so was kein Geld ausgibt“, erzählt er betrübt. Was er mit dem Schinken tun wollte? „Dumme Frage: in Hausflure schmeißen, Leute ärgern und Silvester rumknallen.“
Drinnen im Laden, der ebenso wie 14 andere über die Stadt verteilte, leerstehende Geschäftsräume für drei Tage für den Feuerwerksverkauf von dem Unternehmen LM-Import angemietet worden ist, ist der Bär los. Das reichhaltige Sortiment in den Glasvitrinen, von Leuchtraketen aller Couleur über Kanonenschläge, Chinakracher, Pfennigschwärmer, auch Ladykracher genannt, bis zu Wunderkerzen, geht weg wie warme Semmeln.
Alle Jahre wieder werden die Deutschen zu Pyromanen. Vergangenes Silvester verpulverten die Bundesbürger rund 130 Millionen Mark fürs Feuerwerk. In diesem Jahr wird es kaum anders sein, trotz der Spendenrufe der Welthungerhilfe „Brot statt Böller“. Nur bei der Wahl des Feuerspeiers gibt es eine leichte Veränderung. „Der Trend geht dahin, mehr sehen zu wollen, weg von der ollen Knallerei“, hat ein Verkäufer des Scherzartikel-Ladens, „Deco Behrend“, in Schöneberg festgestellt.
Aber es gibt noch einen anderen Trend: die Pyrotechnik-Firmen machen auf Umweltbewußtein. Der Hersteller Nico – er ist mit einem jährlichen Feuerwerksumsatz von rund 35 Millionen Mark einer der vier größten Hersteller der Bundesrepublik – wirbt mit einem neuen Slogan: „Nico Feuerwerk im Einklang mit der Zeit, der grüne Punkt ist uns nicht genug.“ Weniger Verpackung, 100 Prozent aus Altpapier, abbaubare Materialien, Öko-Raketen ohne Kunststoff, heißt es weiter im Werbetext. Um Mißverständnisse auszuräumen: die Angaben beziehen sich einzig und allein auf die Verpackung und die Hauben der Raketen. Der Inhalt, sprich das Schwarzpulver und die farbenwerfenden Chemikalien, ist der alte. „Das geht gar nicht und hat deshalb nichts mit Öko zu tun“, erklärte der PR-Manager der Firma, Heiko Burmeister der taz.
Öko hin oder her, die Jugend steht ohnehin auf harte Knaller. 40 Prozent der 319 Verletzten beim vergangenen Jahreswechsel waren Kinder. „Es kommt vor, daß Jungs die Dinger als Mutprobe in den Mund stecken und ihnen beim Anzünden die Backen wegfliegen“, weiß der Sprecher der Feuerwehr, Detlef Posner. Der 13jährige Alexander ist da hoffentlich klüger. Nach zehn Minuten Warten vor der Sonder-Verkaufsstelle in der Rheinstraße hat er es endlich geschafft, im Schlepptau eines Musikerziehers sein „Schinkenpaket“ zu ergattern. „Ich habe das getan, weil mir der Kerl einfach leid tat, und ich das als Junge auch so gemacht hätte“, erklärt der Mann und gibt dem glücklichen Alexander noch schnell den Rat: „Aber sei schön vorsichtig.“
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