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Kleidung für die Dame mit Waffe Von Andrea Böhm

Das Gute am Kapitalismus ist, daß in diesem System ein sicheres Gespür für die Emanzipation von unterdrückten und diskriminierten Menschen eingebaut ist – oder einfach solchen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Wenn die „Overeaters Anonymous“ z.B. feststellt, daß die Zahl der Boutiquen für den oder die Kunden/in ab Größe XL zunimmt, dann bedeutet dies zwar nicht das Ende des Terrors durch die Schlanken, aber einen kleinen Fortschritt: der freie Markt, immerhin, hat sie als Konsumenten entdeckt und akzeptiert. Ähnlich fühlen in den USA zur Zeit viele Behinderte, seit die ersten Versand- und Kaufhäuser endlich begriffen haben, daß auch der Kunde mit Querschnittslähmung gerne mal was Neues anzieht. Ergo demonstrierte „Macy's“ seine Weihnachtskollektion nun auch an Models im Rollstuhl.

Nun neigt sich dieser Tage das „Jahr der Frau“ dem Ende zu – und manche halten es für folgerichtig, daß 1992 den entscheidenden Schlag gegen die Diskriminierung auf den Markt gebracht hat. Dieses Verdienst geht zu größten Teilen an Linda Mutchnik aus Bensalem im US-Bundesstaat Pennsylvania, die erstmals Kleidung für die Dame mit Waffe entworfen hat. Mutchnik selbst trägt ständig eine Beretta 380 bei sich und hat sich jahrelang mit dem Problem herumgeärgert: Wohin mit dem Ding? In der Handtasche ist eine Schußwaffe im Notfall ziemlich nutzlos; im Bund der enggeschnittenen Jeans verursacht sie blaue Flecken auf den Rippen, wenn Frau sich hinsetzt; im Holster unter der Satinjacke macht sie häßliche Beulen; und im Gummizug der Stretchhose gehorcht die Beretta samt Beinkleid dem Gesetz der Schwerkraft und kommt erst in Kniehöhe zum Halt. Im Notfall ist auch das nicht sehr praktisch.

Also hat Mutchnik, die sich ihr Geld eigentlich als Mitarbeiterin in einem Anwaltsbüro verdient, die Kollektion „Pistol ERA“ entworfen. Die letzten drei Buchstaben stehen für den gescheiterten Versuch, die Gleichberechtigung der Frau durch eine „Equal Rights Amendment“ verfassungsrechtlich zu verankern. „Pistol ERA“ enthält locker und feminin geschnittene Jacken und Westen, in denen sich Holster samt Waffe unauffällig unterbringen lassen. Gummizüge in Röcken und Leggings sind so verstärkt, daß die Waffe dort bleibt, wo sie hingehört: an der Hüfte. Die Modelle kosten zwischen 110 und 300 Dollar. Die potentielle Nachfrage läßt andere Branchen vor Neid erblassen. Rund 15 Millionen Amerikanerinnen sind inzwischen im Besitz einer Schußwaffe. Tendenz: steigend.

Die Waffen- und Sicherheitsindustrie verdient sich an Frauen eine goldene Nase. Da klingelten die Kassen zu Weihnachten. Statt CD-Player oder Ohrringen lagen für die Tochter, die demnächst aufs College geht, eine Dose „Chemical Mace“ oder der Gutschein für den Selbstverteidigungskurs unterm Christbaum. Ganz zu schweigen von den Branchen, die gar nicht mal extra werben müssen. Taxifahrer in Washington, New York oder San Francisco – und sonstwo in der Welt. Was würden die wohl machen, wenn Frauen plötzlich nachts in aller Ruhe U-Bahn fahren könnten? In diesem Sinne: Happy New Year.

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