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Libidologik in Wort und Ton

■ Das Eros-Wintertheater auf Kampnagel bot fünf Tage mehr oder weniger Erotisches

auf Kampnagel bot fünf Tage mehr oder weniger Erotisches

Erotisch ging es nur streckenweise zu, beim Wintertheater Eros auf Kampnagel, aber kurzweilig war es allemal. Was näher und ferner zum Thema so alles geboten wurde, in den Tagen zwischen den Festen, zeigten einige exemplarische Veranstaltungen. Lutz von Rosenberg Lipinsky, der freundlich dreinblickende Herr mit weißem Hemd und güld'ner Weste, machte sich vor allem sprachanalytisch-komödiantisch über das Beziehungsfeld her. Von der „Ehe ohne Trauschein, weil sich keiner traut“, bis hin zu den analogen Sprachgebräuchen für Liebes- und Geschäftsbeziehungen oder Straßen- und Geschlechtsverkehr, beglückte er die Zuhörer als genauer, oft zynischer Sprachbeobachter. Höhepunkt: Die metastatischen Variationen über den Satz „Ich werde am Du zu Ich“ sowie der postmoderne, schlagwortgefüllte Zugabenrap.

Bei Nessi Tausenschön ist der Gesang Programm und sie kann wahnsinnig singen: In verschiedenen Fassungen von „All of me“ brillierte sie nacheinander als Popmieze, Anneliese Rothenberger, französische Chansonette, Rockröhre und Neutönerin. Frech und schamlos macht sie sich mit einem absolut charming Lächeln über die Männer her, besonders über die im Publikum. Als Pflichtlektüre präsentiert sie „sehr gerne Texte über Makel bei Männern, da gibt es ekelhafte Sachen“. Die 500 Notgedichte, die nie funktionieren, schrieb sie für verliebte Frauen. Angewandte Lebenshilfe. Am Ende hätte man sie gern noch länger gesehen und gehört, aber die erotische Filmnacht wartete schon. Ach ja, Erotik - die hatte man während des Abends ganz vergessen.

Ein anderes mal konnte man der Berliner Performance-Künstlerin Bridge Markland zusehen, wie sich aus einer an Gesicht und Händen umwickelten Männerfigur eine Frau entwickelt, diese fortfährt, Textiles abzulegen, zum Schluß selbst die Haare. Nackt fordert sie das Publikum zum Aktmalen auf, man könne später auch was gewinnen. Und da sitzt sie auch schon wieder als dikker Mann auf der Bühne, um sich noch einmal zur Frau zu wandeln, wird dann zur Dildo-schwenkenden Telefonsex-Furie. Mit den Preisträgern der Malaktion geht sie dann anschließend in eine New-Yorker Disco. Dann ist's aus. Sagt sie. Der Schlußbeifall klingt etwas verwirrt.

Der folgende und letzte Abend war einer Frau gewidmet, die nicht erschien. „Chez Christine“, so der Titel, war einem erotischen Rendezvous mit Christina Weiss, Kultursenatorin, zugedacht, die versprochen hatte, einige eigene erotische Gedichte zu lesen, dann aber absagen mußte (mit dem Versprechen, es nachzuholen allerdings). Aber erotischer Prickel lebt ja von seinem Mangel, so auch hier.

Überraschungsgäste sollten also erotische Geschichten lesen, etwa Harry Rowohlt, der sich mit einem Flachmann belebte. Während der Lesung konnte man dann genau studieren, wie man sich in einem Literarischen Salon auslebt. So hatte Barbara Nüsse das Thema sehr ernst genommen, sie las etwas von der Jelinek. Eros muß also etwas Furchtbares sein, nur Unterdrückung und Mißachtung der Frau. Als Gabriel Laub von den kalorienverwertenden Eigenschaften praktizierter Erotik las, konnte man es sich nicht verkneifen, mal rüber zu Barbara zu linsen, ob die denn auch ein bißchen lachte. Sie tat's. Gottseidank. Auch Mariola Brillowska vermochte mit irren „Lola“-Geschichten denen im Salon und im Publikum Amüsemang zu bereiten. Dirk Bielefeldt holte dann den Eros im Lichte von Polizeiakten über Handgreifliches zum Thema Leichenschändung mit Tieren und anderen Hilfsmitteln kundig auf den Bodensatz der Tatsachen zurück. Er tat seine literarische Pflicht - in Polizeiuniform - mit Bravour, um dann, wie es schien, im Literarischen Salon weiterzuschlafen. Marlen Diekhoff, Christian Curcillo, Edith Adam sowie Hans Man in't Veld trugen bei und es gelang, selbst bei ausführlichsten Schilderungen verschiedener Geschlechtsakte, so etwas wie eine Nach-Adventliche Stimmung zu zaubern. Niels Grevsen/Marcus Baumgratz

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