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Ein „internationales Sarajevo“

Kurz vor der Genfer Konferenz über Bosnien werden die Forderungen nach Aufteilung des Landes immer lauter  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Die Menge drängte sich um den gepanzerten Wagen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen. „Helft uns“, riefen manche, die trotz der Kälte und der Gefahr auf den Straßen Sarajevos ausgeharrt und auf die Ankunft Butros Ghalis gewartet hatten. „Eure Lunchpakete dienen doch nur dazu, uns am Leben zu erhalten, bis die Tschetniks kommen, um uns abzuschlachten“, ruft ein Mann in die Kameras. Viele Bewohner Sarajevos sind über die politische Haltung der UNO verbittert. Wie in den anderen noch freien Gebieten Bosniens fordern sie den unverzüglichen Einsatz militärischer Mittel gegen die serbischen Aggressoren.

Doch davon wollte Butros Ghali bei seinem Blitzbesuch am Silvestertag in Sarajvo – der doch den Menschen Hoffnung bringen sollte – nichts wissen. Zwar hat er auch zur Kenntnis nehmen müssen, daß alle Bäume aus Parks und Alleen verschwunden sind, daß Bücher nun zur Heizung dienen, daß die Kälte das Leben vor allem der Kinder und der alten Menschen bedroht, doch zu einem deutlichen Zeichen der Solidarität wollte er sich nicht durchringen.

Und er erneuerte auf einer Pressekonferenz in der umzingelten Stadt den Vorschlag, weiter zu verhandeln. Sarajevo, so der Generalsekretär, sollte zu einer internationalen Stadt gemacht werden, zu der jede Ethnie Zugang hätte. „Als wäre Sarajevo nicht immer eine multikulturelle internationale und offene Stadt gewesen“, kommentiert ein dänischer UNHCR-Mitarbeiter in Split die Fernsehbilder.

Er, der hier schon seit Sommer letzten Jahres die humanitäre Hilfe zu organisieren hilft, ist ungehalten. „Soll eine Mauer um die Stadt gezogen werden? Es gibt die Forderungen von der serbischen und kroatischen Seite, Bosnien aufzuteilen mit drei Hauptstädten: Banja Luka für die Serben, Mostar für die Kroaten und Tuzla für die Muslimanen. Sarajevo soll zerschlagen werden. Und da macht der Generalsekretär mit.“

Auch in Kroatien sind die Äußerungen hoher Politiker am Vortag der neuen Verhandlungsrunde in Genf deutlicher geworden. In einem Pressegespräch am Mittwoch abend hatte Präsident Franjo Tudjman den Ton angegeben. Ausgehend von der Beschreibung des „kroatischen Wunders“, – gemeint ist die relative Stabilität des Landes angesichts des Krieges – forderte er für Bosnien einen baldigen Waffenstillstand. Die Kroaten Bosniens, so Tudjman, wollten eine demokratische Lösung, sie wollten eine Autonomie für die von Kroaten mehrheitlich bewohnten Gebiete erlangen. Der bosnische Staat könne kein zentralistischer mehr sein, so der kroatische Präsident. Und damit nahm er noch einmal Stellung zu der grundsätzlichen Forderung des bosnischen Präsidenten Izetbegović, den bosnischen Staat mit der bestehenden Verfassung wiederherzustellen. In einer Pressekonferenz am Silvestertag antwortet Izetbegović, den Kroaten ginge es nicht nur um die Westherzegowina, sie verlangten auch die Gebiete um Travnik in Zentralbosnien für ihre Region „Herceg-Bosna“. Dies könne jedoch nicht angehen. Die Auseinandersetzungen zwischen Muslimanen und Kroaten existieren trotz der bedrohlichen militärischen Lage weiter.

Und auch die Informationen über eine gemeinsame militärische Aktion zur Befreiung Sarajevos scheinen keine Bestätigung zu finden. Zwar haben die bosnischen und kroatischen Truppen in Vigosca im Norden Sarajevos kleinere Geländegewinne verzeichnen können, doch entscheidend sind diese Operationen nicht. Die serbische Seite ist angesichts ihrer waffentechnischen Überlegenheit nicht erschüttert. Lediglich die Gerüchte, es sei zu internen Kämpfen auf serbischer Seite gekommen, Serben aus Visoko im Nordwesten Sarajevos hätten sich gegen serbische Freischärler gewehrt, wird in Split als Zeichen gewertet, daß der Terror der Tschetniks selbst von der serbischen Bevölkerung nicht mehr hingenommen wird.

Die Weichen für die Verhandlungen in Genf sind also gestellt. Weiterhin kann der bosnische Serbenführer Karadžić von einer Position der Stärke aus verhandeln. Und wenn nicht alle Zeichen trügen – Butros Ghali hat ja klare Signale gegeben – sind auch bedeutende Persönlichkeiten der „internationalen Gemeinschaft“ davon überzeugt, nur die Aufteilung Bosniens könne zum Waffenstillstand führen. „Scheiß Spiel“, kommentiert der Däne.

Mitterrand für Militärintervention

Paris (dpa) – Der französische Staatspräsident François Mitterrand hat dafür plädiert, im Falle eines Scheiterns der Genfer Verhandlungen militärisch in Bosnien zu intervenieren. In seiner Silvesteransprache sagte Mitterrand am Donnerstag, mit dem internationalen Militäreinsatz sollten „der Luftraum über Bosnien sowie die Wege freigemacht werden, die es erlauben, die Gefangenenlager und die Märtyrerstädte wie Sarajevo zu erreichen“. Frankreich habe 5.000 Mann in Ex-Jugoslawien im Einsatz. Es sei aber „nur bereit, mehr zu tun, wenn die Vereinten Nationen die Verantwortung übernehmen, und wenn Amerikaner und Europäer sich mit uns engagieren“. Die serbischen Führer müßten „begreifen, daß man aufhören können muß“.

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