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Das Grauen im Geschenkpapier Von Michaela Schießl

Bestimmt, es ist kein Zufall, daß die Adventszeit so lange dauert. Vier Wochen Vorbereitungszeit sind das mindeste, um sich auf das Grauen vorzubereiten, das alle Jahre wieder unter dem Weihnachtsbaum lauert: selbstgemachte Weihnachtsgeschenke, auch heuchlerisch „die größte Freude überhaupt“ genannt. Beispielhaft der Aufschrei der jungen Mutter Analisa S. aus W.: „Oh, Bini, ist das schön“, preßte sie hervor, als sie das unsägliche Machwerk betrachtete. Ein selbstgestrickter Bettschal sei das, erklärte das stolze Kind, weil die Mama doch immer so Kreuzweh habe. Was die Mama da hochhob, sah aus wie eine tropische Schlange, die eine Maus gefressen hatte. Mal dick, mal dünn, mal grün, gelb, lila. Da traf sich dicke Schafwolle mit feinem Klöppelgarn, Maulbeerseide mit Packpapierschnur. Doch eine liebende Mutter kennt keine Furcht, das Teil kam mit ins Bett. Die Liebe währte nur eine Nacht. Der Schal biß und juckte, als ob Flöhe reingestrickt waren. Die zerschundene Mutter legte den wertvollen Liebesbeweis in die Devotionalienschachtel. Zu dem Tennispullover vom Vorjahr, den das kreative Kind für den Vater gestrickt hatte. Ein Pullunder für einen Entfesselungskünstler, mit aufgestickten Monogramm, damit kein Neider ihn klaut. Ist man erst mal drin, befindet man sich ganz automatisch in Aufschlagstellung. „Am schlimmsten sind die Sachen, die man tragen muß“, weiß Analisa S. und erzählt von dem handbemalten Seidenschal, der einen Theaterbesuch zur Tortur machte, als die Goldfarbe ins Décoleté zu krümeln begann. Und im Theater darf man sich nicht scharren. Doch auch gebastelte Dinge haben ihre Tücken. Der Satz „Wolfie, ich hab dich getont“, läßt jenem Wolfie das Blut in den Adern gefrieren. Das soll er sein, ein buckliger Kretin mit Hakennase? Was hat er dem Kind getan? Warum haßt es ihn? „Los“, raunt ihm sein Weib zu, „freu dich, sag was, beherrsch dich doch.“ Die hat leicht reden. Mit dem Tischläufer aus Kartoffeldruck ist sie glimpflich davongekommen, und die selbstgegossenen Kerzen mit dem Baumwollfaden als Docht sind sogar schön. Sicherlich, man riskiert jedesmal einen Zimmerbrand, aber wozu hat man einen Feuerlöscher? Weihnachten soll schön sein. Und trotzdem gab es Tränen. Wochenlang hatte die Jüngste an der Hundeskulptur gegipst. Zu dumm nur, daß der Schwanz immer wieder abbrach. Auch im entscheidenden Moment, als das Geschenk ausgepackt wurde. Im nächsten Jahr, so versprach sie untröstlich, mache sie was Einfacheres. Zum Beispiel eine Weihnachtskrippe aus Kastanien-Tieren und Fimo. Oder ein Eselchen-Mobile aus Pfeifenputzern. Besser noch, sie näht Pappi ein Sakko fürs Büro. Kurz nur verlor des Vaters Gesicht den liebenden Ausdruck. Rührend, seine Kleinen, oh du fröhliche. Doch insgeheim arbeitet er Verteidigungspläne aus. Er wird aufrüsten. Eine einfache Gegendrohung wird den schönen Bescherungen ein Ende setzen. Wenn die Brut nicht aufhört mit Selbstgebasteltem, bastelt er zurück. Dann gibt's die selbstgeschnitzte Barbie-Puppe statt des Nintendos. Entspannt steht er auf und tritt wie zufällig auf sein getontes Konterfei. Und weiß: Im nächsten Jahr wird alles anders.

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