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Landschaft nach der Schlacht

Tote Tiere, zornige Menschen, hilflose Helfer – und nirgends politisch Verantwortliche: Ein Katastrophenbericht.  ■ Von den Shetlands Ralf Sotscheck

Das kleine Propellerflugzeug kreiste am Mittwoch eine halbe Stunde über dem Flughafen Sumburgh im Süden der schottischen Shetlandinseln. Unten seien Hilfskräfte damit beschäftigt, Sand auf die Landebahn zu streuen, erklärte die Stewardess.

Der Sturm mit Windstärke zwölf hat das Rohöl von der Braer, die am Dienstag vor der fünf Kilometer entfernten Landzunge Garths Ness auf einen Felsen aufgelaufen war, wie ein Film über weite Teile der Shetland-Hauptinsel Mainland verteilt. Auf dem Rollfeld warten Dutzende von Hubschraubern und Rettungsflugzeugen auf ihren Einsatz. Bisher beschränkt sich die Arbeit jedoch auf Beobachtungsflüge der Küstenwache und das Sprühen verschiedener chemischer Bindemittel, um die Reaktion des Leichtöls zu testen. „Was sollen wir machen“, sagt Malcolm Green von der Inselverwaltung. „Draußen herrschen Windgeschwindigkeiten von 110 Kilometer pro Stunde. Wenn sich das Wetter bessert, können wir auf das Schiff, um uns einen Überblick zu verschaffen. Erst dann können wir entscheiden, was unternommen werden muß.“

Der Krisenstab hat in einem Nebenraum des Flughafens ein kleines Pressezentrum eingerichtet. Doch niemand weiß bisher, wieviel Öl aus dem Tanker ausgelaufen ist. „Vielleicht die Hälfte“, schätzt Green. Die Braer war mit 84.500 Tonnen norwegischen Rohöls nach Kanada unterwegs, als 16 Kilometer südlich der Shetlands die Maschinen ausfielen. Trotz fieberhafter Bemühungen der Küstenwache gelang es nicht, das Schiff von der Insel wegzuschleppen. „Ich verstehe nicht, warum man die Besatzung des Tankers so früh evakuiert hat“, sagt ein Mitglied der freiwilligen Rettungsmannschaften. „Sie hätten zumindest vorher eine Schlepptrosse anbringen müssen. Als man Stunden später ein Team per Hubschrauber auf die Braer zurückbrachte, um eben das zu tun, war es schon zu spät.“

Die freiwilligen Helfer sind mit „Überlebenszubehör“ ausgerüstet – Overalls in leuchtendem Orange und Atemschutzmaske, die zu Hunderten an langen Garderobenstangen hinter einer Schiebewand aus Holz in der Flughafen-Empfangshalle hängen. „Wegen des größten Ölterminals Europas, Sullom Voe im Norden der Hauptinsel, waren wir besser als irgendein anderer Ort Europas auf ein Tankerunglück vorbereitet“, sagt der 29jährige Bill, einer der Helfer. „Wir haben die bestmöglichen Geräte und Ausrüstungen. Aber wir haben nicht damit gerechnet, daß die Katastrophe nicht in Sullom Voe, sondern im Süden der Insel passiert.“

Für John, der in Gott nördlich von Lerwick eine Pension betreibt, ist das allerdings keine Überraschung. „Ich sehe fast täglich Großtanker in der nur 35 Kilometer breiten Straße zwischen den Inseln“, sagt er. „Wir sind schon oft gerade noch davongekommen. Erst vor vier Monaten hat ein Schiff mit Maschinenschaden die Insel knapp verfehlt. Aber das wird ja nicht bekannt.“

Das Taxi setzt uns vier Kilometer nördlich vom Flughafen an der Kreuzung nach Quendale ab. Die Straße ist von zwei Polizisten abgesperrt, weil Neugierige am Vortag auf der kleinen Straße zur Bucht von Quendale ein Verkehrschaos angerichtet haben. Für die JournalistInnen, die inzwischen aus der ganzen Welt hier eingetroffen sind, hat die Polizei mit ihren Mannschaftswagen einen Pendeldienst zur Unglücksstelle eingerichtet. Der Fahrer, ein junger Polizist aus Glasgow, der erst im vergangenen Oktober auf die Shetlands versetzt wurde, sagt: „Es ist eine Schande. Quendale hat den schönsten Strand der ganzen Insel. Damit ist es nun vorbei. Für die Tourismus- Industrie ist das Tankerunglück eine Katastrophe.“

Der Ölgeruch, der schon am Flughafen zu spüren war, wird immer stärker. Gesicht und Hände sind von einem schmierigen Film bedeckt. Schon von weitem sieht man den Turm der Braer, der mit einer schwarz-roten Flagge und einem großen „M“ bemalt ist. Der Rest des Tankers ist vom Meer fast überspült. Um das Schiff hat sich eine schwarze Lache gebildet. „Das Bild ist trügerisch“, sagt Kevin Dunyon, Direktor der schottischen Sektion von Friends of the Earth. „Das sind lediglich die 500 Tonnen Dieselöl. Das Rohöl ist hellbraun und bei diesem Wetter nur schwer zu erkennen.“

Der Wind hat den Ölteppich bereits 15 Kilometer an der Westküste hochgetrieben. „Er liegt jetzt kurz vor den Lachsfarmen“, sagt Dunyon. „Wenn er die erreicht, richtet er dort Millionenschäden an.“ Auf dem Rückweg zur Hauptstraße begegnen wir einer Gruppe von Helfern, die verölte Vögel am Strand einsammeln. „Wir haben heute etwa 110 tote Vögel gefunden“, sagt Andy Innes vom schottischen Vogelschutzbund.“

Innes ist sich klar darüber, daß das erst der Anfang ist. „Durch das Öl sind die Federn der Vögel nicht mehr wasserdicht. Ihre Körpertemperatur sinkt, und sie sind schließlich so geschwächt, daß sie an Land gespült werden. Das dauert aber ein paar Tage. Am Wochenende werden die Zahlen steigen.“ Die Vögel werden in einer Pfadfinderhütte nahe dem Abzweig nach Quendale gesammelt. Die Arbeiten werden von einem Komitee organisiert, dem Vertreter der Inselverwaltung, der Ölindustrie und verschiedener Umweltschutzgruppen angehören. Das Komitee existiert seit drei Jahren, doch jetzt ist zum ersten Mal der Ernstfall eingetreten. Hinter der Pfadfinderhütte steht ein großer, weißer Kühlwagen. „Wir frieren die toten Vögel hier ein, um später eine Bestandsaufnahme machen zu können“, berichtet Ronnie Gallagher vom Komitee. „Die lebenden Vögel schicken wir per Flugzeug in das Middlebank Animal Welfare Centre bei Edinburgh, wo sie gereinigt und getrocknet werden. Wenn die Federn wieder wasserdicht sind, lassen wir die Vögel frei. Das dauert ein bis zwei Wochen.“ Das Tierzentrum kann jedoch nur 700 Vögel aufnehmen. Daneben gibt es nur ein weiteres Zentrum in Südengland.

Neben den Vögeln und Meerestieren sind jedoch auch die Kühe und Schafe von dem Tankerunglück betroffen. Weil viele Weiden auf Shetland verölt sind und es keine Ausweichmöglichkeiten gibt, sollen die Kühe und Schafe ab heute mit Flugzeugen nach Aberdeenshire auf dem schottischen Festland gebracht werden. Und auch die Bauern leiden: Vorgestern verboten die Behörden den Verkauf von Gemüse und Obst, das in der Nähe der Unglücksstelle geerntet wurde.

Am Mittwoch abend legt im Hafen von Lerwick ein Schlepper der holländischen Bergungsfirma Smit International an. „Wir haben von der Lloyds-Versicherung den üblichen Vertrag erhalten“, sagt der Geschäftsführer Daan Kaakebeen. „Nur wenn wir Erfolg haben, gibt es Geld.“

Die Firma hat zwei Möglichkeiten. „Entweder schleppen wir die Braer in die Bucht von Quendale, wo das Wasser ruhiger ist, oder wir bauen eine Schwimminsel und pumpen das restliche Öl ab.“ Doch zunächst muß man an Bord des Unglückstankers, um die Lage zu peilen. Daran war jedoch auch gestern nicht zu denken. Der Sturm nahm wieder zu, heute soll er sogar Orkanstärke erreichen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann das Schiff völlig auseinanderbricht. Zwei Matrosen der Firma Smit, die am abend in der Hafenkneipe sitzen, halten Kaakebeens Pläne ohnehin für unrealistisch. „Es ist unmöglich, das Schiff vom Felsen zu ziehen“, sagt einer von ihnen. „Der Bug liegt gerade im Wasser, während das Heck schon eine leichte Schräglage aufweist. Der Tanker würde sofortausenanderbrechen.“

Neben der Smit liegt das Greenpeace-Schiff Solo im Hafen. Die Solo befand sich zufällig in der Nähe der Shetlands, als die Braer am Dienstag auflief. Greenpeace- Expertin Wiebke Schwarzbach sagte, das Unglück sei vorprogrammiert gewesen.“ Grund für die wiederkehrenden Katastrophen sind die schwimmenden Särge. Bei uns sind bei jedem Auto die technischen Bedingungen besser und die Haftfrage klarer geregelt.“

Greenpeace fordert schärfere Kontrollen der Schiffssicherheit. Außerdem sollen Flaggenstaaten und die Verantwortlichen in der Industrie haftbar gemacht werden. „Dann wird es sich kein Land mehr leisten wollen, diese Särge weiterhin auf die Meere zu schicken.“ Greenpeace-Aktivist Paul Horsman sagte: „Alle haben korrektgehandelt: Die Reederei, die Küstenwache, der Kapitän. Es kann also gar kein Unglück passiert sein.“ Ein Mitglied der Küstenwache, das ungenannt bleiben wollte, sagte zur taz: „Was in den Zeitungen steht, stimmt nicht. Wir haben der Braer frühzeitig Hilfe angeboten, aber der griechische Kapitän hat abgelehnt. Wir mußten erst die Reederei in New York anrufen und Druck ausüben, damit die Firma den Kapitän anwies, unsere Hilfe zu akzeptieren.“ David Eniver, der englische Kapitän der Solo, sagte jedoch: „Der Kapitän trägt keine Schuld, sondern die Schiffseigentümer. Diese Schweine haben die Schiffsbesatzungen dermaßen eingeschüchtert, kein Geld unnötig auszugeben, daß sich die Kapitäne gar nicht trauen, frühzeitig Hilfe anzufordern. Diese Reeder gehören anden Eiern aufgehängt.“

Die Politker, die sich jetzt auf die Shetlands fliegen lassen, bezeichnet Eniver als Heuchler: „Die Tory-Regierung wird doch von genau diesen multinationalen Ölgesellschaften finanziell unterstützt.“

Am späten Abend fährt Eniver mit uns in die Seemannsmission, wo die phillipinischen und polnischen Matrosen der Braer untergebracht sein sollen. Über die Gegensprechanlage der Mission wird uns jedoch mitgeteilt, daß man nichtwisse, wo die Tankerbesatzung sei. Eine Nachfrage der Polizei ergibt, daß die US-amerikanische Reederei die Mannschaft bereits am Mittwoch früh ausfliegen ließ. „Das überrascht mich nicht“, sagt Eniver. „Sie haben Angst, daß die Matrosen derPresse etwas über ihre Ausbildung, Bezahlung und die Arbeitsbedingungen erzählen könnten. Diese Reeder sind die Verbrecher, die an der Shetland- Katastrophe Schuld haben.“

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