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Unerklärlicher Knacks

Als Schizophrener die Welt durchdekliniert  ■ Von Ina Hartwig

Hölderlin wurde als Dichter verrückt. Nicht so Ernst Herbeck: Er wurde als Schizophrener erst Dichter. Ja, wäre Herbeck nicht an Schizophrenie erkrankt, wäre er wahrscheinlich gar kein Dichter geworden.

Mit 20 Jahren war Herbeck das erste Mal in psychiatrische Behandlung gekommen, anfangs nur ambulant. Seinen Eltern hatte er erzählt, er werde von einem Mädchen durch Morsezeichen hypnotisiert, die er über jede Entfernung hinweg höre. Nachdem er gegen seinen Vater, aber auch gegen sich selbst tätlich geworden war, soll er gesagt haben: „Ich bin eben noch gestört. Ich habe keinen Augenzeugen. Die Leute müssen mich direkt hassen.“ 1950, nachdem er bereits ein paar Jahre in der Psychiatrie war, wurde Ernst Herbeck gerichtlich entmündigt.

Bevor der Faden irgendwo irgendwie gerissen ist, verlebte der am 9. Oktober 1920 in Stockerau bei Wien Geborene eine sogenannte normale Kindheit und Jugend, war ein fleißiger Schüler, ging zur Volks-, Haupt- und Handelsschule. Ernst Herbecks Vater war Beamter, die Mutter Hausfrau. Ernst war viel allein, sprach wenig, trieb sich draußen herum. Wegen einer Lippen-Kiefer-Fehlbildung wurde er mehrmals operiert, zuletzt mit 18 Jahren. Danach sprach er nasal und schleppend, worunter er sein Leben lang gelitten haben soll. Gedichte soll er damals weder gelesen noch geschrieben haben.

Im Frühjahr 1946 ist Ernst Herbeck in die psychiatrische Heil- und Pflegeanstalt Gugging gekommen, wo er, von einer kurzen Unterbrechung abgesehen, bis zu seinem Tod am 11. September 1991 geblieben ist. Gleichzeitig mit Herbeck kam sein langjähriger Arzt und Entdecker Leo Navratil nach Gugging, ohne dessen Geduld, Empathie und Zuneigung Herbeck wohl ein ganz normaler Kranker geblieben wäre. Navratil schreibt, Herbeck gehöre „zu jenen Menschen, die von dem Unglück betroffen sind, viele Jahre ihres Lebens Patient in einem psychiatrischen Krankenhaus gewesen zu sein“. Er schreibt nicht: das Unglück, schizophren zu sein.

Irgendwann, erzählt Leo Navratil, sei er auf die Idee gekommen, den schweigsamen Ernst Herbeck schreiben zu lassen, zuerst kurze Prosatexte, später Gedichte. Er habe ihm seinen Kugelschreiber gegeben, ein (absichtlich) kleines Stück Papier und ihm ein Thema vorgeschlagen. Herbeck habe überlegt, geraucht und dann geschrieben. Tausende von kurzen Gedichten sind auf diese Weise entstanden, nicht immer mit Themenvorgabe, aber fast immer hat Herbeck auf eine Aufforderung gewartet, die später auch von anderen als Navratil kommen durfte.

Liest man den letztes Jahr erschienenen Band gesammelter Texte „Im Herbst da reiht der Feenwind“ (siehe auch Gedichtkästen), drängt sich der Eindruck auf, Herbeck habe im Laufe der Jahrzehnte förmlich die Welt durchdekliniert. Seine Gedichte heißen zum Beispiel: „Das Kaffeetrinken.“, „Das Altern.“, „Die Männer“, „Die Frauen“, „Panzer“, „Die Liebe.“ etc. Offensichtlich hat Herbeck sofort einen ihn treibenden Rhythmus gefunden, das also, was man eine „Stimme“ nennt. Daß sein Arzt beeindruckt war, muß auch Ernst Herbeck beeindruckt haben.

Innerhalb und außerhalb der Psychiatrie hat Herbeck sehr schnell Erfolg gehabt. Zuerst erschienen sind seine Texte – noch unter dem Pseudonym „Alexander“ – in dem 1966 von Leo Navratil herausgegebenen Buch „Schizophrenie und Sprache“. Obwohl Herbecks Aussprache „zu wünschen übrig ließ“ (Navratil), hat er viele Lesungen abgehalten, nicht nur in dem – inzwischen bekannten – Gugginger „Haus der Künstler“. 1978 wurde er Mitglied der Grazer Autorenversammlung, von Mayröcker, Jandl, Heller, Gerhard Roth (u.a.) unterstützt.

Doch wessen Stimme hören wir – die eines Schizophrenen oder die eines Dichters? Ist das „Schizophrene“ an Herbecks Texten poetisch, oder entwickelt sich da eine Poesie jenseits der Schizophrenie des Verfassers? Es trifft wohl beides zu.

Irritierend ist zu sehen, wie schwankend Herbeck mit den grammatischen Regeln des Deutschen umgeht: von (fast) korrekt über wirr bis chaotisch. Rührend dagegen die vollkommene „Vernünftigkeit“ der einzelnen sprachlichen Brocken, die Herbeck so zusammenschweißt, daß man den unerklärlichen Knacks im Kopf spürt. Herbecks Gedichte, das merkt man, haben ihn nicht wirklich aus der inneren Isolation herausgezerrt. Immerhin ist das etwas weniger traurig, als wenn er ganz darin versunken wäre.

Wegen seiner „erfolgreichen literarischen Tätigkeit“ wurde 1981 Herbecks Entmündigung gerichtlich aufgehoben. Daraufhin konnte er sein Autorenhonorar selbst in Empfang nehmen und sich endlich so viele Zigaretten kaufen, wie er wollte. Mit dem Anstalts-Taschengeld war er nie ausgekommen.

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