Sanssouci: Vorschlag
■ „Bilsenkraut“ im Carrousel Theater an der Parkaue
Kinder müssen nicht einmal Ausländerfeindlichkeit erlebt haben. Sie hören die Worte und Themen der Erwachsenen und ahmen die Wertungen naiv nach, begierig, sich in ihrer Umwelt zu orientieren. Schon die ganz Kleinen haben Ressentiments, und man fragt sich woher. In der Geschichte „Bilsenkraut“ entwickelt Günter Jankowiak, seit 1982 bei der „Roten Grütze“, die Flüchtlingsproblematik nicht als Unterversorgung der Bevölkerung vieler Länder, die Flucht Apodees aus ihrem Land ist knapp mit Verfolgung motiviert. Elvira Schuster deutet sie mittels einer komisch-unheimlichen Pantomime an. Zwei dunkelgraue Socken auf den Händen ergeben zwei dümmliche Polizisten, einer volltönend, der andere piepsig. Sie vertuschen, daß sie die Spur verloren haben.
Aus einem Unwetter flieht der Obdachlose Ludoff in die Wohnung Apodees, die sich nun nach Jahren bescheiden eingerichtet hat. Obdachlosigkeit erscheint hier als kinderfreundlicher Clownsspaß von einem, der sich nicht mehr in der Welt zurechtfindet und alles anstaunt. Vor allem das fernbediente Radio, aus dem unablässig Aufregendes herausknallt, hat es ihm angetan. Marcus Staiger reproduziert es mit Schlagzeug, Keyboards, Gitarre und Gesang. Außerdem mimt er den Radiojournalisten Bubi Buschmann – die virtuose Gesamtkunstleistung dieser Aufführung. Unser Clown ist, scheint es, ordentlich harmlos. Das sieht Apodee nach einigen Widerständen ein, sie nimmt ihn auf, teilt, was sie hat, insbesondere leckere Kekse, die auch an die Kinder gehen. Es beginnt eine schöne Freundschaft. Apodee ist in ihrem grauen Hemd, der Patchwork-Weste in den vier Grundfarben und den Stockings in leichter Regenbogeneinfärbung die priesterliche Gutheit schlechthin und stellt die kritische Frage, „warum die einen mehr Raum brauchen, als sie brauchen, und andere nicht mal den, den sie brauchen“. Da kann unser Clown nur dagegenhalten, daß wir zwar nicht genügend Wohnraum, aber immerhin die Freiheit haben. Ja, welche denn? Die, die Meinung zu sagen.
Mit der ist es nicht weit her, wie wir an Bubi Buschmann mit verkehrt aufgesetzter Baseballmütze, Sonnenbrille und amerikanisch-laxen Bewegungen deutlich sehen (sollen). Der ist sozialen Problemen flott auf der Spur, macht aus allem eine noch flottere Geschichte, so daß die Leute am Ende nichts begreifen. Am flottesten aber ist sein Dauerjubel am Mikro. Eines Tages hetzt Buschmann Ausländerfeindliches: Das Bilsenkraut, das die Fremden pflegen, nutzten sie als Gift in Keksen und Tee. Ludoff, der Radiostimme verfallen, verdächtigt Apodee, die ein Zweiglein aus ihrer Heimat mitgebracht hat. Er ruft Buschmann an. Der aber lacht am nächsten Tag ins Mikrophon, viele hätten angerufen. Aber er habe nur gesponnen, um sie reinzulegen.
Die Inszenierung polarisiert die in einigen Punkten ressentimentgeladene Geschichte noch einmal mit poesievollen Bildern für einen so spießigen wie diffusen Einheitshumanismus. Gott sei Dank nehmen die anarchischen Figuren Buschmann und Ludoff trotzdem für sich ein. Auch im Kindertheater interessiert am meisten der Mensch in seinem Widerspruch. Berthold Rünger
Heute und 16.-20.1. im Carrousel Theater.
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