: Das Spiel mit den Münzen
■ Das Berliner Schiller Theater wagte sich an Maxim Gorkis frühe Szenen „Die falsche Münze“
Das Berliner Schiller Theater, an dem so mancher Herr jüngst bewies, wie gut er sich auf das Spiel mit Münzen versteht, zeigt als neues Stück zur Jahreswende „Die falsche Münze“. Ob man das programmatisch verstehen darf?
Warum sonst wohl unternahm das Schiller Theater den mutigen Versuch, Gorkis frühes Werk, an das sich bisher kaum ein Regisseur wagte, auf die Bühne zu bringen?
In Rußland fand sich lange kein Theater, das die „Falsche Münze“ inszenieren wollte – zu unfertig wirkten die einzelnen Szenen. Die Uraufführung fand 1928 in Rom statt und war ein Flop. Die deutsche Erstaufführung übernahm das Deutsche Nationaltheater in Weimar im Jahr 1949.
In einer weiten hellen Bühne steht verloren der Uhrmacher Jakowlew mit seiner Familie. Es hat gebrannt und nun ist alles in Aufruhr. Jakowlew sorgt sich um die marmorne Uhr aus dem Schaufenster. Seine Familie kümmert ihn wenig. Am wenigsten seine Frau Polina. Verwandte und Bekannte eilen hin und her, halten unvermittelt inne, bewegen sich routiniert aneinander vorbei, wie Menschen, die in all ihren Wirrnissen und Unglücken schon so lange zusammenleben, daß sie sich nur noch in Ritualen begegnen können.
Unruhig rücken sie ständig Möbel und Gegenstände hin und her, als könnten sie damit etwas in ihrem Leben bewegen. Doch die Bewegung kommt bei Maxim Gorki nur von außen. Plötzlich taucht ein Untermieter auf, der sich als alter Bekannter der verschreckten Uhrmacherfrau Polina erweist. Er bietet Goldmünzen an, will die Menschen dazu verführen, sich von der „Falschen Münze“ blenden zu lassen.
Das Stück hat viele Schwächen – Gorki selbst wußte das und arbeitete es mehrmals um. Am Ende kam eine unklare und unschlüssige Geschichte dabei heraus. Die Charaktere sind unstimmig, die Motivation fragwürdig, die Handlung kaum existent: Das Schema – Untermieter stört Ehe, verwirrt die Frau, macht sich den Mann zum Feind – gibt nicht allzuviel her.
Es geht um die Lüge, um das Wahre und das Falsche. Alle lügen – so ist es in Gorkis Kommentaren zur „Falschen Münze“ nachzulesen, doch dem Publikum bleibt dies unklar. Die größte Schwäche des Stücks: es setzt zu spät an. Es beginnt dort, wo zu vieles schon stattgefunden hat. Nun wird die Wahrheit von allen verfälscht, was jedoch die Zuschauer kaum nachvollziehen können. Die nur vage angedeuteten Zusammenhänge ergeben ein Puzzle, bei dem am Schluß einige Teile fehlen. Die einfachen dramaturgischen Fragen: „Was ist passiert? Wer spielte dabei welche Rolle?“ werden nicht präzise beantwortet. Zudem fehlt eine klare Figurenzeichnung. So kreist das Stück um ein Zentrum, das schemenhaft bleibt und reduziert sich auf flüchtige Szenen, Einzelleben.
Die vielen Umarbeitungen, die Maxim Gorki selbst vom Entstehungsjahr 1913 bis zu den späten zwanziger Jahren an dem Text vornahm, schadeten ihm mehr als sie nutzten. Er änderte vor allem Funktion und Charaktereigenschaften der männlichen Figuren. So wurde aus dem Untermieter Stogow (Gerald Fiedler), der in der ersten Fassung als Falschmünzer alle ins Unglück stürzt, schließlich ein Geheimpolizist, der Falschmünzer entlarvt. Lusgin (Stefan Merkl), der eine mysteriöse Erbschaft verspricht und Angst hat vor seinem eigenen Spiegelbild, kommt neu hinzu – woher und wieso weiß man nicht.
Der Uhrmacher sollte von Anfang an ein Mensch sein, der nicht an das Gute glaubt, ein Bösewicht, ein Pessimist. Das muß man im Programmheft nachlesen, denn aus dem Stück wird es nicht ersichtlich. Hilmar Thate schleicht schön kauzig zwischen den wenigen Möbeln herum, vermag der Figur aber auch kein schlüssiges Seelenleben zu verleihen.
Die Frauenfiguren hingegen sind stimmiger gezeichnet: die unterwürfige Polina, die für vergangene Verfehlungen im freudlosen Eheleben mit dem Uhrmacher Buße tut – Steffi Kühnert spielt sie zurückgenommen und äußerst stimmungsvoll; die aufmüpfige Tochter Natascha – Susanna Simon deutet mit traurig-zynisch klingenden Witzen ihren Ausbruch aus der Tradition an; die opportunistische Gebrauchtwarenhändlerin Bobowa, die lebenssehnsüchtigen Frauen Dunja und Klawdia. Alexander Lang inszenierte „Die falsche Münze“ mit Pausen und Brüchen, ohne Schwere, aber auch ohne Leichtigkeit.
„Szenen“ heißt das Stück zu Recht im Untertitel und mehr als schlecht und schräg zusammenhängende Szenen bietet die Aufführung auch nicht. Doch sie ist in ihrer Mikrostruktur getragen von der gorkischen Schwermut, Melancholie und Unruhe – und das macht das Unternehmen des Schiller Theaters, „Die falsche Münze“ in der neuen Übersetzung von Günter Jäniche zu zeigen, denn doch noch ein wenig sehenswert. Von einem formalistischen Regisseur wie Alexander Lang war freilich nicht zu erwarten, daß er dem Stück dramaturgische Klarheit geben könnte, die nicht vorhandenen inhaltlichen Zusammenhänge herstellen, den Schlüssel zum Figurenverständnis liefern würde. Er hat ein Sittengemälde auf die Bühne gebracht, insgesamt unschlüssig wie die Textvorlage, aber in einzelnen Passagen sehr schön. Margit Knapp Cazzola
Schiller Theater: „Die falsche Münze“ von Maxim Gorki. Regie: Alexander Lang. Bühne: Caroline Neven du Mont. Mit Hilmar Thate, Steffi Kühnert, Susanna Simon, Matthias Brenner u. a., Nächste Aufführungen am 11.1, 21.1., 26.1.
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