Aufschwung Ost für Spekulanten

Seit Januar stiegen in den neuen Bundesländern nicht nur die Mieten, auch ein erheblicher Teil des ehemals kommunalen Wohnungsbestands wurde reprivatisiert  ■ Aus Berlin Uwe Rada

Manuel G. wohnt in der Auguststraße unweit des historisch gewachsenen Scheunenviertels in Berlin-Mitte. Das brüchige Ambiente des Kiezes mit seinen zahllosen Cafés und Galerien ist seit Maueröffnung Anziehungspunkt für die Möchtegernschickeria der ganzen Stadt. Doch nicht nur das Bier im Kiez, auch der fallende Putz hat seinen Preis. Seitdem im Januar die Mieten in den neuen Bundesländern von der Bundesregierung ein zweites Mal erhöht wurden, zahlt Manuel G. für seine Wohnung mit Außentoilette sechs DM den Quadratmeter. Das entspricht in etwa dem Preis, der für eine vergleichbare Sozialwohnung mit Zentralheizung und Bad im Westteil der Stadt zu entrichten ist. „West-Mieten bei Ost-Einkommen und Ost-Standard“, so der knappe Kommentar des Deutschen Mieterbundes, der insbesondere die Sozialverträglichkeit der Mietsteigerungen in Zweifel zog. Anders als nach der Mieterhöhung im Oktober 1991 ist der neuerliche Mietschwung-Ost vor allem von Alleinerziehenden, Rentnern und Sozialhilfeempfängern kaum mehr zu verkraften.

Doch damit nicht genug. Wer in der Vergangenheit seine Wohnung halbwegs in Schuß hielt, dem geht selbiger nun nach hinten los. Das Pulver der (Noch-)Bauministerin Schwaetzer heißt in diesem Fall „Beschaffenheitszuschläge“. Zusätzlich zur Grundmietenerhöhung von 1,20 DM/qm können drei mal 0,30 DM/qm erhoben werden, wenn Dach, Fenster und Fassaden im Haus keine „erheblichen Mängel“ aufweisen. Zwar ist seit der Jahrhundertwende im BGB die Instandhaltung von Haus und Wohnung eindeutig als Pflicht des Vermieters festgelegt, doch im gemeinschaftlichen Werkeln um den Aufschwung Ost scheint alles recht, was teuer ist. „Beim überwiegenden Teil der Ostberliner Wohnungen“, schimpft Christina Sinoner, Mieterberaterin im Prenzlauer Berg, „erheben die Wohnungsbaugesellschaften alle drei Zuschläge.“ „Da fragt man sich schon“, meint auch ein Mieter, „warum soviel Sanierungsgelder in den Osten fließen sollen, wenn doch angeblich alles in Ordnung ist.“ Die Mieterberatung hat sich inzwischen entschlossen, in eindeutigen Fällen den MieterInnen die Verweigerung des entsprechenden Zuschlags anzuraten. „Ein anderes Druckmittel“, zuckt Christina Sinoner mit den Schultern, „haben die Mieter ja leider nicht.“

Im Sommer hatte es dagegen noch anders ausgesehen. Zehntausende Ostberliner MieterInnen waren im Juli und September auf die Straße gegangen. Die Demonstrationen unter dem Motto „Mietenstop“ wurden nicht etwa von Parteien oder Mieterorganisationen organisiert, sondern von einer Prenzelberger Bürgerinitiative mit dem ambitionierten Namen „Wir bleiben alle“. Doch ohne Erfolg. Heute, so scheint es, sind die Demonstrationen längst in Vergessenheit geraten. „Die Rechtsberatung ist überfüllt, die Bürgerinitiativen dagegen werden kaum noch wahrgenommen“, ärgert sich Bernd Holtfreter von „Wir bleiben alle“. Holtfreter wohnt in einem Mietshaus nahe der Schönhauser Allee, das mittlerweile mit öffentlichen Geldern saniert wurde. Acht Milliarden DM sind nach groben Schätzungen nötig, um das „größte Sanierungsgebiet Europas“ Prenzlauer Berg in den nächsten fünfzehn Jahren vor dem Verfall zu retten. Damit die Sanierung nicht allein privaten Investoren überlassen wird, sondern „behutsam“, sprich: sozial verträglich und unter Beteiligung der Betroffenen, vonstatten geht, wurde der Prenzlauer Berg zum Schwerpunkt der Stadterneuerung erklärt.

Doch auch der Einsatz öffentlicher Mittel schafft oft mehr Ärger denn Zufriedenheit. „In unserem Haus“, sagt Bernd Holtfreter, „wollte die Wohnungsbaugesellschaft nach fünf Jahren elf Prozent der Modernisierungskosten auf die Miete umlegen.“ Bei Holtfreters Nachbar hätte das am Ende zu einer Miete von 17,39 DM/qm geführt, ein Preis, der sonst nur für privat modernisierte Wohnungen zu entrichten ist.

Obwohl sich indes auch der Berliner Senat in den Konflikt um die, so die Berliner Mieterberatungsgesellschaften, „öffentlich geförderte Verunsicherung“ eingeschaltet hat und ausdrücklich festlegte, daß im Falle öffentlicher Zuschüsse keine Modernisierungsumlage erfolgen darf, bleibt die Zukunft der behutsamen Stadterneuerung in den Altbauvierteln im Prenzlauer Berg, in Mitte und Friedrichshain nach wie vor ungewiß. „Wenn schon eine Wohnungsbaugesellschaft auf unseriöse Weise versucht, die Mieten zu steigern, ermuntert das die Privateigentümer erst recht, auf Teufel komm raus zu spekulieren“, ärgert sich Holtfreter.

44.000 Wohnungen, ein Zehntel des ehemals kommunalen Wohnungsbestandes in Ostberlin, wurden zu Jahresbeginn an die Alteigentümer zurückgegeben, allein 18.000 davon im Prenzlauer Berg. Nach Schätzungen von Experten werden im Altbau über kurz oder lang weniger als zehn Prozent der Wohnungen in kommunaler Regie verbleiben. Auch wenn im Verlauf dieses Jahres mehrere Sanierungsgebiete vom Berliner Senat förmlich festgelegt werden, sind Bezirke und Senat letztlich auf die Kooperationsbereitschaft der privaten Eigentümer angewiesen. Die öffentlichen Zuschüsse zur Modernisierung sind ein Angebot an die Hausbesitzer, mehr nicht. „Die Privatisierung im Osten ist die eigentliche Katastrophe“, sagt Gerhard Heß von der Berliner MieterGemeinschaft, „und zudem ein wahrer Teufelskreis.“ Steigende Immobilienpreise schaffen für die Neueigentümer, meist Immobilienfirmen oder Abschreibegesellschaften, einen extrem hohen Verwertungsdruck. Die Folge: Luxusmodernisierungen, Umwandlung in Eigentumswohnungen, spekulativer Leerstand oder Zweckentfremdungen. Ärgernis Nummer eins im Szeneviertel um den Prenzelberger Kollwitzplatz ist seit langem die Kollwitzstraße 89. Nachdem sie das Haus mit den üblichen Mitteln entmietet hatten, beantragten die Eigentümer die Umwandlung des Mietshauses in ein Hotel. Ihre Begründung: mit einer Wohnnutzung des Gebäudes werde innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren keine Rendite zu erzielen sein. Der Widerspruch des Bezirksamtes und der Senatsbauverwaltung liegt indessen beim Berliner Verwaltungsgericht. Die Verfügung einer sofortigen Wiedervermietung wurde vom Gericht ebenso abgelehnt wie eine Beschlagnahme des Gebäudes vom zuständigen Sozialstadtrat. „Wenn die Eigentümer mit dieser Begründung durchkommen“, meint Bernd Holtfreter, „wird demnächst der ganze Prenzelberg zum Hotel umgewandelt.“