: Intoleranz auf dem Vormarsch
■ Als "Höhepunkt im Verfall" hatte Ausstellungsmacher Jeannot Simmen die Staatliche Kunsthalle bezeichnet, deren Umzug - oder Auflösung? - bevorsteht. Der Leiter der Kunsthalle, Dieter Ruckhaberle, antwortet
Der „desolate Zustand“ der Kunsthalle kommt in den Augen von Jeannot Simmen (taz vom 4.1.93, S. 26) „nicht aus dem Nichts“, sondern habe Tradition. Avantgarde, hatte Simmen geschrieben, gelte Dieter Ruckhaberle als „Besenstil an der Wand und ein bißchen warmes Wasser und ein bißchen tröpfelndes Wasser... abgestandenes Zeug“.
Zuerst: Es gibt gar kein Interview mit so verkürztem Inhalt von mir im SFB am 24.2. 89, zu diesem Zeitpunkt sind wie im Februar jedes Jahr die Filmfestspiele mit der Filmmesse in den Räumen der Kunsthalle, es gab also gar keinen Anlaß für ein Interview, und außerdem würde ich mich nicht in der zitierten Weise äußern.
Nun habe ich ein gewisses Verständnis für Forderungen, wie sie Simmen vorträgt. Es war auch immer viel Druck nötig, um in Berlin etwas zu verändern. Die Durchsetzung der Druckwerkstatt und des Künstlerhauses Bethanien dauerte vier Jahre, die Realisierung der Bildhauerwerkstätten an der Panke ebenfalls mehrere Jahre. Alle diese Einrichtungen sollten aber immer allen Künstlern, allen Kunstrichtungen dienen und für die Zukunft offen sein.
Das ursprüngliche Konzept für den Martin-Gropius-Bau war ebenfalls auf eine Vielfalt der Kulturarbeit und Kunstrichtungen gerichtet. Durch die Überrestaurierung wurde dieses Konzept – neben der institutionellen Umstrukturierung – ad absurdum geführt. Selbst die große Beuys-Ausstellung litt unter den räumlichen Vorgaben. Die Unterbringung der Kunsthalle in der Budapester Straße wurde immer nur als Provisorium verstanden.
Mit den jetzigen Umbauplänen eröffnet sich die Chance zu einer Neugestaltung der Räume, die in der Tat für Konzept-Kunst kaum geeignet sind, da die oft notwendige „auratische“ Inszenierung andere Raumkonstellationen erfordert. Für Malerei und Graphik, mit gewissen Einschränkungen auch für Skulpturen eignen sich die Räume durchaus. Aber, daß ein Ausstellungsmacher zur Pressekonferenz anderer Ausstellungsmacher rennt, um dort lauthals seine eigene Meinung vorzubringen, wie Jeannot Simmen mit seinem Auftritt bei der Eröffnung der Ausstellung des NBK in der Kunsthalle uns allen vorgeführt hat, das ist neu.
Neu ist auch, daß eine kleine Gruppe von Kunstkritikern, die zugleich Ausstellungsmacher und Interessenvertreter einer Kunstrichtung sind, ihre Mischfunktion in erpresserischer Form benutzen, um anderen Institutionen ihre Vorstellungen aufzudrücken. Dies kann nach meinem Verständnis von kultureller Demokratie nicht hingenommen werden. Es wäre gut, wenn der Senat von Berlin außer dem Künstlerhaus Bethanien, das pionierhaft Konzept-Kunst gefördert hat, etwa im organisatorischen Zusammenhang mit dem „Podewil“, wirklich geeignete Räume zur Verfügung stellen würde. In den USA wurden seit Jahren große Lofts benutzt, um neue, vor allem räumlich flexibel, Vorstellungen der Künstler zu verwirklichen, die halt bei uns in der Budapester Straße – nicht aus ideologischen Gründen, sondern vor allem aus räumlichen Gründen – kaum realisiert werden können. Daß man dafür aber gleich Generalangriffe auf die Kunsthalle, die beiden Kunstvereine und – sie wurde wohl nur vergessen: die Berlinische Galerie – starten muß, hilft gerade dann, wenn man etwas anderes will, nicht. Es waren immer große Bündnisse nötig, um in Berlin kulturellen Fortschritt zu etablieren.
Aber nicht nur die von Jeannot Simmen, Thomas Wulffen, Marius Babias und Angelika Stepken vertretenen Künstler brauchen große Räume, mir scheint es außerdem sehr wichtig, daß die Künstler, die andere Richtungen und andere Techniken verwenden, auch die Möglichkeit bekommen, ohne allzu großen Aufwand in einfachen Hallen ihre Werke mit genügendem Abstand und in größeren Zusammenhängen betrachten und vorführen zu können. Wenn man schon etwas für die jungen Künstler tun will, dann sollte man vor allem auch eine staatlich geförderte Katalog-Edition einrichten.
Die Kritik der „freien Kuratoren“, wie sich die Ausstellungsmacher und Kunstkritiker neuerdings nennen, hat auch objektive Gründe. Wulf Herzogenrath kann vermutlich den Hamburger Bahnhof erst zu einem Zeitpunkt bespielen, wenn etwas anderes Neues, als Simmen heute meint, hoffentlich mit etwas weniger Militanz und Intoleranz, den notwendigen Platz beansprucht.
Ich habe immer – ausdrücklich immer – eine pluralistische Position vertreten. Immer in der Hoffnung, daß jede Position, jede Gestaltung und jedes neue Konzept mit seinen eigenen Kriterien Maßstäbe entwickelt, die sich dann kritisch und kritisch vergleichend anwenden lassen. Simmen und Freunde gehen aber in Ausstellungen anderer Kunstrichtungen schon überhaupt nicht mehr oder wenn, dann eben mit dem verkürzten Blick der postmodernen „Avantgarde“.
Da habe ich doch ein paar Sprüche, die man dann auch zitieren darf: „Die Epigonen verbrauchen zwei Drittel ihrer Zeit, die wirklichen Pioniere zu bekämpfen.“ Oder: „Wer sich nicht auskennt in dem, was andere schon erfunden haben, läuft Gefahr, alles noch einmal erfinden zu müssen, mit dem Nachteil, daß er aufgrund seiner Unwissenheit auch schwer erfährt, daß er ein Nacherfinder ist.“ Ansonsten bin ich sehr vorsichtig mit negativen Urteilen. Früher gab es eine für mein Empfinden sehr positive Tugend der Macher im Kulturbereich: eine gewollte Skepsis gegenüber eigenen und fremden Kunsturteilen. Dies ist nicht Ungenauigkeit. Unter der Diktatur der angeblich „Wissenden“, der Kunstpäpste und ihrer Bischöfe, hat Berlin von 1955 bis 1965 gelitten wie keine andere Stadt in unserer Republik. Nie wieder so etwas, Herr Simmen!
Das habe ich nie verstanden: Wenn ich die Musik zum Beispiel von Cage liebe, warum muß ich dann Ockegham, Schütz, Bach, Nono, Henze hassen? Simmen zeigt seine Borniertheit mit wünschenswerter Offenheit: Die „Ausstellungsliste der Kunsthalle liest sich wie eine Ahnenpflege im Künstler-Altersheim oder im Politverein“. Sprache der Ausgrenzung! Betrachten wir dieses Zitat einmal genauer: „Politverein“. Seine ganze Verachtung für Künstler, die sich auch gesellschaftlich engagieren, drückt Simmen mit diesem „Politverein“ aus. Er lüftet den Hut, die Halbglatze wird andeutungsweise sichtbar. „Ahnengalerie im Politverein“. Sein Kumpan Thomas Wulffen beschimpfte die Kunsthalle, weil wir es wagten, Diego Rivera (zusammen mit der NGBK) in unseren Räumen zu zeigen. Grosz, Dix, Hubbuch, Schlichter... Oh Fallada, ich sehe dich hangen...
„Ahnenpflege im Künstler-Altersheim“. Jeder kann natürlich politisch so weit rechts stehen, wie es heute Mode ist, aber jemand, der vorgibt, sich für Kunst zu interessieren, damit vielleicht sogar sein Brot verdient, müßte eigentlich wissen, daß Kunst nicht von Nichts kommt, sondern von Kunst. Und das sind die „Ahnen“. Meint er damit Schad, Leger, Rauschenberg, Ipousteguy? Sind das vielleicht doch die Rosinen? Welche kunstferne Sprache. Ohne die Alten ist nichts, Herr Simmen. Und die Unwissenheit ist so groß, daß neulich, als bei der Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit Kollegen der IG Medien Transparente mit der Aufschrift „Asylant Kokoschka“ trugen, junge Leute fragten: Wer ist Kokoschka? Lieber Herr Simmen, wenn Sie wüßten, wie viele große Künstler der Vergangenheit noch in der Kunsthalle Berlin ausgestellt werden... Trotz allem bin ich dafür, daß Schulz, Wulffen, Stepken, Simmen die Chance bekommen, ihre Vorstellungen an geeignetem Ort zu realisieren. Aber dafür die Kunsthalle kaputtzumachen, das grenzt an kulturpolitischen Irrsinn.
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