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Demokratieabbau durch Maastricht

■ Vereintes Europa wird demnächst in Karlsruhe verhandelt

Berlin (taz) – „Der Vertrag tritt am 1.Januar 1993 in Kraft“, heißt es in „Artikel R“ der Abmachungen von Maastricht – ein Termin, der bekanntlich seit zwei Wochen überschritten ist.

Als Verantwortliche für die Verspätung stehen zwei Länder am EG-Pranger: Dänemark und Großbritannien. Doch in Rom, wo die ratifizierten Verträge hinterlegt werden sollen, fehlt noch eine dritte Unterschrift: Entgegen ihren Ankündigungen hat auch die Bonner Regierung den Fahrplan zur Europäischen Union nicht eingehalten. Bundespräsident von Weizsäcker hat seine Unterschrift unter das Vertragswerk vorerst verweigert.

Nachdem im Dezember eine ganze Reihe von Verfassungsbeschwerden gegen die Verträge in Karlsruhe eingegangen sind, will er eine entsprechende Entscheidung abwarten. Somit sind die Verträge nach der mehrheitlichen Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zwar ratifiziert, aber noch nicht völkerrechtlich verbindlich. Heute nun läuft die Frist ab, in der die „Organe der Bundesrepublik“ zu den Beschwerden Stellung nehmen können. Nach Auskunft eines Sprechers des Auswärtigen Amtes will die Regierung diese Möglichkeit auf jeden Fall nutzen. Bis Redaktionsschluß waren in Karlsruhe allerdings keine Stellungnahmen zur Verteidigung der Maastrichter Verträge eingegangen.

Aus den zahlreichen Beschwerden gegen Maastricht ragen zwei hervor. Diese beiden „substantiellen Beschwerden“, so ein Mitarbeiter des Bundesverfassungsgerichts, stammen von einer Gruppe um den grünen Europaabgeordneten Wilfried Telkämper und dem ehemaligen Mitarbeiter der EG- Kommission, Manfred Brunner. Die grünen ParlamentarierInnen Telkämper, Hiltrud Breyer, Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringsdorf und Claudia Roth begründen ihre Verfassungsbeschwerde mit dem Demokratieverlust durch die Maastrichter Verträge und ihrer Sorge um die „Verfaßtheit unseres Staates“. Die Verträge verletzten die „Grundrechte auf gleiche politische Teilhabe sowie die Rechte auf Berufsfreiheit und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit“, heißt es in ihrer von dem Berliner Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele verfaßten Beschwerdeschrift.

Ex-Kommissionsmitarbeiter Brunner, dem sich inzwischen der ehemalige bayerische Innenminister und langjährige Heß-Verteidiger Alfred Seidl angeschlossen hat, argumentiert eher nationalstaatlich. Seine Einlassung in Karlsruhe begründet er mit der Gefahr der Selbstaufgabe des Staates. Brunner war im vergangenen Jahr von seinem damaligen Chef, dem deutschen EG-Kommissar Bangemann, geschaßt worden, nachdem er öffentlich eine Maastricht- Volksabstimmung in der Bundesrepublik gefordert hatte. Anschließend profilierte sich Brunner in Deutschland als Sprecher der Maastricht-GegnerInnen im rechten Lager.

Die Chancen für eine Wiederaufnahme der Maastricht-Diskussion – diesmal vor dem Bundesverfassungsgericht – stehen nicht schlecht. Nicht nur in den Parteien, sondern auch bei JuristInnen, darunter auch pensionierte Verfassungsrichter, mehren sich die kritischen Stimmen gegen das Vertragswerk.

Bonn hat seine EG-PartnerInnen in der Vergangenheit massiv unter Druck gesetzt. So warnte Kanzler Kohl die Regierung in Kopenhagen, die Gemeinschaft könne notfalls auch zu elft weitermachen. Auch den Briten Major drängte Kohl bei den EG-Gipfeln in Birmingham und Edinburgh zur Eile. Jetzt könnte die Bundesrepublik selbst zum letzten Hindernis werden. Das Bundesverfassungsgericht will versuchen, seine Normenkontrolle nicht über das zweite Maastricht-Referendum in Dänemark und die Parlamentsentscheidung in London hinaus zu verlängern. Aber auf einen Zeitrahmen festlegen lassen sich die RichterInnen des Zweiten Senats in Karlsruhe nicht. Dorothea Hahn

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