: Kann denn Zarah Sünde sein?
■ "Nach mir ist man süchtig!" - Das KAMA-Theater eigt ein Singspiel über Zarah Leander
Von Klaudia Brunst
„Diese Ruhe! Unglaublich... unglaublich.“ Lange horcht die Frau im Morgenmantel in die Stille des frühen Tages hinein. Es ist ihr Geburtstag, ihr vierzigster Geburtstag. Mehr Post könnte es geben, „war auch mal mehr“, das Telefon bleibt den ganzen Tag über still. So still wie der schwedische Morgen in Lönö, wo Zarah Leander nach ihrem übereilten Rückzug aus dem tausendjährigen Reich sechs lange Jahre auf bessere Zeiten wartete. Als Goebbels sie nach dem Fall Stalingrads vor die Wahl stellte, sich für das untergehende Deutsche Reich zu entscheiden und ihre üppigen Gagen künftig nur noch in Reichsmark entgegenzunehmen oder anderenfalls der Ufa den Rücken zu kehren, zog es Sarah Stina Hedberg, genannt Zarah Leander, vor, sich auf ihr Landgut in Schweden zurückzuziehen. Ihr ersungenes Hab und Gut nahm sie mit, ihre Sucht nach Glamour, Starruhm und Größe ebenfalls.
Die Story des Musical-Solos „Nach mir ist man süchtig“, das am Mittwoch im KAMA-Theater Premiere feierte, setzt da an, wo Zarah Leander ihre Glanzzeiten schon hinter sich hatte. Inmitten ihres Reichtums, „150 ha fruchtbares Land, 5 Tonnen Heringe jährlich. Nie mehr arbeiten müssen“, ist Zarah, gespielt von Theaterleiterin Katja Nottke, unglücklich und einsam. Ihre schwedischen Landsleute wollen ihr die Kumpanei mit den Nazis nicht verzeihen, man belegte sie mit Auftrittsverbot, die alten Ufa-Freunde aus Deutschland üben sich gerade im kollektiven Vergessen. Wir schreiben das Jahr 1947. Der Lauf der Geschichte hat den wenigen aufrechten Exilanten recht gegeben, wer nach 1933 in der deutschen Unterhaltungsindustrie geblieben war, ist heute ein Kollaborateur.
Eine tragische Situation für eine ehrgeizige Frau, die sich um jeden Preis aus ihren armen Verhältnissen befreien wollte, die ihre Chance 1936 ausgerechnet in Deutschland ergriffen hatte und nun schon im Alter von vierzig eine Lebensbilanz ziehen muß.
Zarah Leander hat das nie wirklich getan, ihre Autobiographie „Es war so wunderbar“ ist nicht mehr als eine 250 Seiten starke Rechtfertigung, im gleichen lapidaren Ton gehalten wie die Dutzenden anderen Lebensbeichten ihrer ehemaligen Ufa-Kollegen, die sich nach dem Krieg von ihrer Mitschuld reinwaschen wollten.
Peter Lund, Autor und Regisseur dieser Inszenierung, ist Jahrgang 1965. Aufgewachsen mit den rührenden Nachkriegsfilmen von Heinz Rühmann, mit den lustigen Pfeifkonzerten einer Ilse Werner, ist er – wie viele andere auch – dem witzigen Tonfall der Leander nur allzu bereitwillig aufgesessen. Auf fatale Weise macht er sich den Standpunkt seiner Heldin zu eigen, gibt ihr allein eineinhalb Stunden Zeit und Raum, ihre schönen Lieder zu singen, ihre ach so unpolitische Haltung zu erklären, ihre Witzchen über das Unrechtsregime zu reißen, von dem sie sich immerhin zur Göttin machen ließ. „Machen Sie was mit ihren Haaren“, will die Leander Adolf Hitler geraten haben, als sie eine Begegnung mit dem Diktator nicht mehr vermeiden konnte, und Goebbels soll sie seine erotischen Absichten mit unbändigem Hunger nach deftigem Essen vergällt haben. So steht es in ihrer Autobiographie, und so läßt Lund es Katja Nottke erzählen. Die Leute im Publikum lachen über so viel Souveränität im Umgang mit den Souveränen des despotischen Staates. Daß diese unbewiesenen Anekdoten eine kluge Rechtfertigungsstrategie für zehn Durchhaltefilme in sechs goldenen Ufa-Jahren sein könnten, kommt einem bei dem kurzweiligen Plauderton der Leander nur schwer in den Sinn.
Sicher, ein paar kritische Momente hat Lund in seinen Zarah- Monolog eingebaut, ein paar Ausrutscher in den eben noch gültigen Propagandaton, ein paar unliebsame Erinnerungen an Hans Gottschalk, der sich erhängte, an Detlef Sirk, der in die USA emigrieren mußte, an Heinrich George, der nach dem Krieg in einem sowjetischen Lager starb. Aber letztlich fehlt dem Stück der Widerpart, der in Zarahs Gedanken von selbst nicht aufflammen will, die kritisch- distanzierte Auseinandersetzung mit Zarah Leanders Rolle als Unterhaltungsstar der Ufa bleibt an diesem Soloabend logischerweise aus.
Katja Nottke spielt die wenigen gebrochenen Momente in ihrer Rolle aus, wo immer Peter Lund es ihr gestattet. Sichtbar sucht sie die Tiefe in einer Persönlichkeit, die immer behauptet hatte, keine wirkliche Tiefe zu besitzen. Die schauspielerische Leistung der Nottke ist beeindruckend. Eine tour de force. Kaum etwas in ihrer Physiognomie ähnelt der immer noch so gegenwärtigen Vorlage, und doch meint man, kaum daß Katja Nottke zu singen beginnt, als lausche Zarah selbst dem Wind, der ihr ein Lied erzählt. Plötzlich ist diese kleine Person, die doch eben noch Edith Piaf war, wirklich die große Zarah. Bravouröse Schauspielerei, das ursprüngliche Geheimnis des Theaters. Hätte man dieser großartigen Schauspielerin doch einen kongenialen Partner an die Seite gestellt, an dem sie sich hätte abarbeiten können, reiben können – „Nach mir ist man süchtig“ könnte dann ein wirklich zu Herzen gehender Theaterabend sein. So aber muß man sich mit Katja Nottkes unglaublicher Bühnenpräsenz begnügen und mit den wenigen zaghaften Momenten der Tragik, die das Stück am Ende dann doch retten.
Vielleicht war es ein Fehler, daß sich Peter Lund ausgerechnet von dem Zarah-Verehrer Paul Seiler beraten ließ, von dem Schweizer, der sich selbst als „Zarahs Anwalt“ bezeichnet und der nur einen einzigen Vorwurf gelten läßt: „Man könnte sagen, sie ist eine Propagandistin des Trostes gewesen“, stellt er naiv in den Raum der Geschichte, ohne die Tragweite dieser Überlegung zu bedenken.
Zugegeben, den peinlichen Fehler der „Bombenstimmung“ im Theater des Westens, Zarah Leander noch 1945 um den Nazi- Weihnachtsbaum walzen zu lassen, wo sie doch bereits 1943 in Schweden Heringe zählte, diese unzulässige Zusammenziehung hat das KAMA nicht gemacht. Und die meisten der trügerisch schönen Lieder hat der musikalische Leiter Kilian Piramovsky klugerweise entgegen ihrer ursprünglichen Intention eingerichtet und sie damit durchaus entschärft. Trotzdem bleiben die Evergreeens der Ufa ein Zugpferd für das Berliner Publikum, das sich letztlich doch – Aufarbeitung hin oder her – zu gerne an ihnen ergötzt. „Kann denn Zarah Sünde sein?“ mögen viele denken. Ich meine immer noch: ja.
„Nach mir ist man süchtig – Zarah Leander an ihrem 40. Geburtstag“, ein Musical-Solo von Peter Lund, mit Katja Nottke, im KAMA- Theater, Schwiebusser Straße.
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