Neues vom Infoismus Von Mathias Bröckers

Weil ich montags meistens den Spiegel kaufe, zählen mich die Marktforscher zur deutschen „Info-Elite“. Bis vor kurzem war mir dieser Status noch völlig unbekannt, nun weiß ich, daß dieser elitären Klasse viele Millionen angehören, weit mehr als die 1,2 Millionen Spiegel-Leser. Der Burda- Verlag hat sich die „Info-Elite“ als Zielgruppe für ein neues Geldvermehrungs-Projekt ausgeguckt: Nachdem bei den Prolos mit Super-Vulgärstjournalismus samt Titten in Übergröße keine Mark zu machen war, sollen jetzt betuchtere, mit Abitur und Business- Class-Ambitionen ausgestattete Kreise, die „Info-Elite“ eben, zum Wohle des Offenburger Schnittmuster-Imperiums gemolken werden. Nun denn, als notorischer Zeitungs-Junkie konnte ich noch keiner Neuerscheinung widerstehen, also schlägt der Zeitungs- und Zigaretten-Stapel Montag früh mit sagenhaften 15 Mark 25 zu Buche, vier davon für Focus – Das moderne Nachrichtenmagazin. „Wir füttern den Kopf, nicht die Vorurteile“, verkündet beim Frühstück eine Anzeige im Tagesspiegel. Wir sind gespannt – „Geschäftsreisen '93: über 30 Spar- und Luxus-Tips“, „Mit kleinen Autos aus der Krise“, „Genschers Comeback“, das klingt wenig appetitanregend – und heben Focus für die Krönung der morgendlichen Kopffütterung auf: den Lokus. Aber ach, selbst hier, wo notfalls noch ein „Readers Digest“ zündet, erweist sich die neue Info-Designer-Droge als taube Nuß, das Inhaltsverzeichnis als bunte Sammlung alter Hüte: „Die Kriminalstatistiker verzeichnen Rekordmarken“ (...seit Jahrtausenden), „LCD-Bildschirme von Gameboys enthalten ... eine gefährliche Flüssigkeit“ (...wie jedes Kind weiß und deshalb lieber Limo trinkt), „mit einer Generation neuer Modelle will die deutsche Autoindustrie Marktanteile zurückerobern“ (...seit dem ersten Autoimport 1901), und daß Genscher Weizsäckers Nachfolger werden möchte, weiß in Bonn jeder Spatz. Den Vogel an klassisch burdaesker Verschnarchtheit aber schießt das Interview mit Lafontaine ab. Während der Spiegel den Saar-Präsidenten als Puffgänger „entlarvt“, darf der rotlichtgeschädigte Oskar im Focus weiter auf kreuzbrave Fragen antworten. Das derart schlagartig veraltete Interview rauszuschmeißen, es gar durch eine Story zum neuen Schmierenniveau des Journalismus zu ersetzen, u. a. darüber, daß dieselben Spiegel-Typen, die mit Lafontaine feiern und schlemmen und ihn nach oben schreiben, ihn wg. Feiern und Schlemmen ohne Wimpernzucken auch wieder nach unten schreiben – mit einem solchen Scoop hätte das neue Magazin als Spiegel-Alternative reüssieren können. So aber schnarcht sich das Blatt bis zur letzten Seite durch, dort, statt Witz und tieferer Bedeutung, ein Veranstaltungskalender – wie fast jeder Artikel mit Landkarten-Graphik, dem einzigen, was Graphikcomputer außer Balken-Diagrammen eben so können. Doch der aus USA rüberschwappende Video-Infoismus der Statistik- und Hitlisten-Graphiken wäre nicht einmal tragisch. Nur, was da in den hübschen Bildchen an Infos rüberkommt, zeugt von schwerem Schlafmittelmißbrauch in der Redaktion. Für Leute freilich, die die Baufachmesse 93 und das Spring- und Dressurturnier in der Münsterlandhalle keinesfalls versäumen können, wird Focus künftig ein absolutes Muß sein.