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Haight-Ashburys erstes Pin-up

Janis Joplin, die Frau, die Gott „Honey“ nennen durfte, wäre heute 50 geworden  ■ Von Anke Westphal

Im Juni 1966 suchte der Manager Chet Holmes nach einer Sängerin für die San Francisco-Band Big Brother & The Holding Company. Dave Getz, Schlagzeuger bei Big Brother, war entsetzt, als er Janis zum erstenmal sah: ein fettes, bebrilltes, verschüchtertes Texas- Girl mit Narben und Pickeln im Gesicht, das Jeans und Männerhemden trug. Janis verpatzte die erste Probe, aber ihre Stimme kompensierte den bizarren Ersteindruck. Sie blieb bei Big Brother und tauchte ab in Haight-Ashburys popgrelles „Movement“, das, obwohl von Woodstock oder Monterey noch nicht die Rede war, seinen Zenit fast schon überschritten hatte. Die Acid-Tests der Prangsters waren bereits Legende, die „Schrei“-Parties längst Geschichte. Im Januar 1966 eröffnete der erste „Psychedelic-Shop“, der all das feilbot, was den San Francisco-Sound in Lifestyle übersetzen sollte: Zigeunerklamotten, Klimperschmuck, indische Tücher, Hasch und LSD. Noch konnte jeder LSD an jeder Ecke kaufen; erst am 2.Oktober 1966 wurde die Droge der Love-and-Peace-Generation per Gesetz verboten. 1968 brachte CBS dann den ersten Sampler des Movements unter dem voreilig summierenden Titel „That's Unterground“ heraus – Underground war als Verkaufskonzept aufgesogen. 1966 aber muß San Francisco für Janis Joplin der Himmel gewesen sein.

1943 wurde sie in Port Arthur/ Texas geboren. Der Vater arbeitete bei Texaco, die Mutter im städtischen Standesamt, wo die typisch amerikanische Small-Town- Girl-Biographie programmgemäß unter Rosen und Tüll enden sollte: Janis kehrte dem Familienidyll mit 17 den Rücken, um sich zwischen San Fracisco, Austin und New York als Barsängerin und Datentypistin durchzuschlagen – oder mittels Sozialhilfe. Sie dealte mit Speed wie viele ihrer Freunde. 1960 erfuhr sie ihre Westcoast-Initiation, und damit war das Setting für „unverschämt zügellose Menschen“ (Janis über sich selbst) gefunden.

Wenn sie zwischen den Alkohol-, Sex- und Drogenexzessen immer wieder in den Schoß der Familie zurückkehrte, schlichte langärmelige Kleider über die zerstochene Haut zog, den Haarfilz zum Knoten drehte und das College besuchte wie jedes nette Mädchen von nebenan, folgte das ihrem Pendeln zwischen Extremen, in denen konservative Phasen logisch eingeschlossen waren wie Orangensafttage in Southern Comfort-Orgien.

Mit ihren Besuchen in Port Arthur wollte sie vielleicht die traumatische Erinnerung an frühe Demütigungen wiederholen, um sie loszuwerden. Im Winter 1962 war Janis zum „häßlichsten Mann“ (!) der University of Texas gewählt worden. Fünf Jahre später, im Alter von 24, war sie nach monatelangen Speed-Injektionen mit 44 Kilogramm zum Erbarmen mager, dabei ebenso anmaßend wie verletzlich und auf der Jagd nach einem klar konturierten Selbstbild: Get it while you can, ein explosives Ego aus roher Präsenz, Verachtung, Zerbrechlichkeit, Naivität und zunehmender Einsamkeit. Aber sie hatte es „geschafft“: Janis, die Blues-Königin im Experiment Ekstase, dem der Szene-Ort Haight-Ashbury den besten Nährboden gab.

Janis – die Aufhebung des Gegensatzes von Kunst und Leben? Janis – vom Problemkind zum Junkie und Alkoholiker? Das sind spätere Zuschreibungen. Zunächst einmal ging es um Erfolg.

Der blieb bei ihrer maßlosen Gier nach Bestätigung nicht aus. Sie prahlte in der Öffentlichkeit damit, mit unzähligen Männern zusammen gewesen zu sein, produzierte sich über „einem großen Loch in ihrer Seele“, wie Myra Friedman in ihrer Biographie schreibt. Während sie Männer, Frauen, Alkohol, Speed und bald auch Heroin konsumierte wie Mineralwasser, war es ihr mit einer Karriere als Sängerin bitterer Ernst. Ihr Blues wurzelte, wie sie selbst, im texanischen Süden. Joplin hatte Bessie Smith und Billie Holiday eingesogen und schwor auf Leadbelly.

Das war nicht gerade die Musik, um an der Westküste die „Doors of Perception“ zu öffnen, eigentlich zu anstrengend. Aber da war mehr. Auf der Bühne bot Janis als eine vor Sexualität strotzende Person „lebendiges Theater“. In ihr hatte sich die Hippie-Philosophie des Augenblicks, das „Tune in, Turn On, Drop Out“ Timothy Learys materialisiert: Blues & Sex & Ekstase. Blues & Sex & Tod. 1967 triumphierte sie mit Big Brother in Montery, 1968 war der Ruhm mit der LP „Cheap Thrills“ (die Janis „Sex, Dope and Cheap Thrills“ nennen wollte) perfekt. „Hippie Queen of Show Business“ titelte Newsweek. Also eher Hippie Queen als Künstlerin?

Janis hat selbst nur eine Handvoll Songs geschrieben („Move Over“ zum Beispiel) und gilt im nachhinein mehr als Interpretin. Das Imaginäre in ihren Interpretationen bestätigt die alte platonische Idee, daß Musik gefährlich sei, weil sie „zu Wollust, Sichverlieren“ verführe. Der Mythos Hippie Queen „spiegelt jedoch bloß deren Institutionalisierung – als platte Paraphrase“: Janis, die diffus strukturierte singende Schlampe, der weibliche Outcast. Oder: das tragische Opfer, die Warnung, die „Unvollendete“.

Leben und Tod wurden längst voneinander abgeleitet, statt Biographie und Musik als Palimpsest zu lesen: Janis Joplin, Jimi Hendrix, Jim Morrison als Stellvertreter eigener Vexierleben – und Tode.

Am nächsten kommt man der Sängerin Joplin womöglich über Roland Barthes These von „der Rauheit der Stimme, wenn diese sich in zweifacher Stellung befindet: Sprache und Musik“. Bei Janis ist tatsächlich der Körper zu hören, „wo die Melodie die Sprache bearbeitet“. Und: „Die Rauheit ist der Körper in der singenden Stimme.“ Ist das ihre Erotik, ihre „Botschaft“? Wahrheit statt Funktionalität? Erde und Raum im Gesang statt schöner Seele?

„Und die Medien stürzten sich drauf, fraßen uns auf und spuckten uns aus“, soll Joplin einmal gesagt haben. Im September 1968 kam es, nicht nur wegen ihrer expressiven Dominanz, zur Trennung von Big Brother & The Holding Company. Janis' – nach „I Got Dem Ol Blues Again“ – zweites und wichtigstes Solo-Album (mit Begleitband) „Pearl“ wurde posthum fertiggestellt.

Am 4.Oktober 1970 fand John Cooke sie tot in einem Hotelzimmer in Hollywood. Ihre Arme wiesen 14 Einstiche auf. Sie war 27 Jahre alt. Ihr Testament verfügte, daß die bar hinterlassenen 2.500 Dollar auf einer Party vertrunken werden sollten.

Jetzt wäre sie also 50, und ist diese Vorstellung so unerträglich? Bob Dylan, der sie damals nicht mochte, und Kris Kristoffersen, der einer Ihrer Liebhaber war, würden sie vielleicht anrufen, um ihr zu gratulieren. Da das nicht geschehen kann, wird noch einmal im pekuniären Rundumschlag erinnert, verklärt und gewürdigt. Myra Friedman, frühere Managerin von Joplin, unternimmt in „Buried Alive“ nichts Geringeres als einen „Bildersturm gegen das Legendennetz jener Zeit“, in dem sie sich wieder und wieder so verständlich verfängt. In großzügiger Übertreibung, die den Kontext zurückstellt, puscht sie die Sängerin zum Katalysator des SF-Movements hoch, schwelgt in Superlativen, um sich als „engste Freundin von Janis zur Zeit ihres Todes“ gleich mitzuerhöhen.

Friedman erzählt Janis' Geschichte als Geschichte von Sex & Drugs & Rock'n'Roll (die sie ja auch war), andererseits aber mit analytischer Schärfe. Sie wartet mit Einsichten aus dem inneren Geschäftskreis der Szene auf. Die Darstellung, noch 20 Jahre nach Joplins Tod mit Schaum vor dem Mund geschrieben, rechtfertigt sich selbst durch das Bewußtsein ihrer Ambivalenz. Der Mythos wird zwar nicht zerstört – das ist auch unmöglich und unnötig –, aber vermenschlicht.

Laura Joplins Anliegen in „Love xx Janis“ kann das nicht gewesen sein. Die um sechs Jahre jüngere Schwester hat anstelle der „authentischen und ultimativen Janis-Joplin-Biographie“, die der Klappentext verheißt, eine ebenso traurige wie hilflose Liebeserklärung an die „große wagemutige Schwester“ geschrieben, eine Femmage, in der bemühtes Hippie- Verständnis, tatsächliche Bewunderung und ein Ahnentafel ausbreitender Traditionalismus eine rührend naive Ehe eingehen.

Am bewegendsten sind die im Buch abgedruckten Briefe von Janis an ihre Familie. Sie plappert über neue Klamotten, berichtet, „wie ordentlich“ sie wohnt und daß sie sich endlich das Rauchen abgewöhnt hat (!!!). Vor allem aber ist von viel Arbeit die Rede, wie um den Eltern über Erfolgsmeldungen ein halbwegs normales Leben vorzugaukeln. Es scheint immer derselbe amerikanische Traum zu sein, der zwischen Aggression, Narzißmus und ambivalanter Anpassung – woran auch immer – implodiert. Janis an Laura: „Sind Mama und Daddy stolz auf mich?“ Dann wieder gibt sie fröhlich mit Promo-Fotos an. Eins zeigt sie im Pailettencape mit „Tausenden von Perlenketten und oben ohne... Wenn es Euch nicht peinlich ist, schicke ich Euch eins. Ich bin völlig aus dem Häuschen!! Ich darf Haight-Ashburys erstes Pin-up sein.“

Das ist die Frau, die Jim Morrison von den Doors eine Flasche Scotch über den Schädel zog, weil seine sexuellen Fähigkeiten keine Gnade vor ihr fanden. Die Frau, „die Gott Honey nennen durfte, ohne daß ihr dies jemand übelnahm“ (Friedman). Und die Begriffe „Pop-Ikone“ und „Mythos“ vertexten vielleicht nichts anderes als das Fortbestehen ihrer zum Klischee erstarrten Existenz im Publikum: Live Fast, Love Hard, Die Young.

Myra Friedman: „Buried Alive — Janis Joplin. Ein Leben mit voller Kraft“. Aus dem Amerikanischen von Michael Kubiak. Hannibal- Verlag, Wien, 330 Seiten, brosch., mit Schwarzweiß-Fotos, 45DM.

Laura Joplin: „Love xx Janis“. Aus dem Amerikanischen von Tina Hohl. vgs, 375 Seiten, geb. mit Schwarzweiß-Fotos, 44DM.

Janis Joplin: The Box (3 CDs). Columbia/Legacy.

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