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Kompromiß in Autonomiedebatte

■ Die ungarische Minderheit in Rumänien streitet über ihr Wunschstatut/ Staatliche Diskriminierung hält an

Kronstadt (taz) – Heftig ging es am vergangenen Wochenende in der „Tractorul“-Fabrik in Kronstadt (Brasov) zu. In der rumänischen Stadt hatten sich mehr als 300 Delegierte des Demokratischen Verbandes der Ungarn in Rumänien (UDMR) zu ihrem dritten Kongreß versammelt. Der UDMR ist die einzige Vertretung der ungarischen Minderheit im Lande, in ihr sind 550.000 der rund zwei Millionen Ungarn organisiert.

Vorüber ist die Aufbruchstimmung von vor einem Jahr, als noch eine Wende in der rumänischen Nationalitätenpolitik erwartet wurde. Statt dessen konnte der Präsident Ion Iliescu und seine reformunwillige Front zur Nationalen Rettung ihre Machtposition in den meisten Landesteilen halten. Außerdem errangen Rumäniens Ultranationalisten überraschende Wahlsiege. Ihr wohl „profiliertester“ Führer, der Bürgermeister von Klausenburg (Cluj) Gheorghe Funar, ist durch eine Vielzahl von Aktionen gegen die ungarische Minderheit mittlerweile zu trauriger Berühmtheit gelangt: Hausdurchsuchungen und –räumungen, Verbot von ungarischsprachigen Schildern, Plakaten und Veranstaltungen.

Von offizieller Seite wird Extremisten wie Funar nichts entgegengesetzt. Drei Jahre nach dem Sturz Ceaușescus, so die KongreßteilnehmerInnen, gebe es zwar Presse-, Meinungs- und Organisationsfreiheit, aber gegen ihre Diskriminierung als Minderheit seien die UngarInnen keinen Schritt weitergekommen. Benachteiligt sind sie nach wie vor beim Gebrauch der Muttersprache, im Bildungs- und Verwaltungsbereich und bei der Repräsentanz im Apparat.

Doch für die Erfolglosigkeit der UDMR-Politik gibt es auch hausgemachte Gründe: die Fraktionskämpfe im Dachverband. So stellte Géza Domokos, der aus Gesundheitsgründen scheidende Präsident, in seiner Abschiedsrede fest: „Der UDMR hat es nicht geschafft, sich selbst zu definieren.“ Nachdem die demokratische Opposition im letzten Jahr sowohl die Kommunalwahlen als auch die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen verloren hatte, gewann die radikale Fraktion in der UDMR an Einfluß. Angeführt wird sie von Bischof László Tökés, dessen Deportation die Aufstände vom Dezember 1989 auslöste, und dem Vorsitzenden der „Siebenbürgisch-Ungarischen Initiative“, Adám Katona. Deren Forderung nach „territorialer Autonomie“ für die ungarische Minderheit rief bei sämtlichen rumänischen Parteien einen Proteststurm hervor. Diese witterten darin den Anfang einer Sezessionsbewegung, die den Anschluß Siebenbürgens an Ungarn zum Ziel habe. 1920 hatte Ungarn gemäß dem Vertrag von Trianon Siebenbürgen an Rumänien verloren.

Um der Gefahr einer Isolation des UDMR vorzubeugen, legte Tökés nach mehrstündiger hitziger Debatte doch noch eine Kompromißformel in der Autonomiefrage vor. Nun ist zwar immer noch von „lokaler und regionaler Selbstverwaltung“ sowie „kultureller Autonomie“ die Rede. Doch die Frage der Durchsetzung bleibt offen. Ein Delegierter des „Liberalen UDMR-Kreises“: „Mit den Oppositionsparteien gibt es immerhin die Übereinstimmung, daß eine Dezentralisierung des jetzigen Staatsmodells stattfinden muß. Davon müssen wir die rumänische Gesellschaft überzeugen.“

Schließlich trat Tökés von seiner Kandidatur für die UDMR- Präsidentschaft zurück. Der 46jährige Dichter und Parlamentsabgeordnete Béla Markó wurde als neuer Verbandspräsident gewählt. Allerdings fehlt ihm das nötige Charisma, um den zerstrittenen UDMR zusammenzuhalten. Das jedoch, so viele Delegierte, sei für den Verband von existentieller Bedeutung.

An der Basis betrachten die Mitglieder ihre Organisation mittlerweile als uneffektiv und undurchschaubar und beginnen, als Wähler zu rumänischen Parteien überzulaufen. Keno Verseck

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