■ Die langersehnte Kabinettsumbildung in Bonn ist da: Traktorfahrer und Sandmänner
Monatelang haben wir gewartet, wurde spekuliert, diskutiert, abgewogen. Nun ist sie da, die große angekündigte Kabinettsumbildung, mit Hilfe derer Kanzler Kohl das letzte Jahr bis zur nächsten Bundestagswahl durchstehen will. Doch das Publikum läßt die erhofften Reaktionen vermissen. Es gähnt. Warum nur so undankbar?
Neue Minister, so die allgemeine Erwartung, stehen für neue politische Initiativen. Da soll ein Ruck durch Deutschland gehen: Jetzt geht's aber ab, jetzt stellen wir uns den Problemen, wir packen's an! Aber wer, bitteschön, packt da an? Ein Bauer aus Bochum, Haushaltsexperte der CDU, dessen einzige bekannte Qualifikation sich in der Fähigkeit erschöpft, einen Traktor lenken zu können? Ein neuer Forschungsminister mit der Eloquenz eines Parteikarrieristen? Ein Postler, der sich zum CSU-Landesgruppenchef hochgedient hat und dessen Bundestagsreden dem Sandmann zur Ehre gereichen? Ein neuer Wirtschaftsminister schließlich, dem nachgesagt wird, er könne gar nicht schlechter als sein Vorgänger sein, weil der Jürgen W. Möllemann hieß.
Doch es sind nicht nur die fehlenden vermeintlich „großen“ Namen, denen es bei der Kabinettsumbildung mangelt. Es ist die Politik, die fehlt. Niemand hat dem Publikum bisher erklären können, wofür Kohls neue Mannen eigentlich stehen. Daß vom Forschungsministerium, von Riesenhuber (der mit der Fliege) über Jahre redlich verwaltet, ab nächster Woche sprühende Aktivitäten ausgehen werden, nur weil nun ein Matthias Wissman ihm vorsteht, glaubt ernsthaft niemand. Die Landwirtschaftspolitik wird ohnehin zu großen Teilen von und in Brüssel bestimmt, da bleibt einem Neuen in Bonn nicht viel mehr als die Vertretung der bäuerlichen Standesinteressen. Dieses Ministerium eignet sich also per se wenig zur Profilierung.
Von den Plänen des neuen Wirtschaftsministers Rexrodt schließlich wissen wir nicht viel. Bekanntgeworden ist allerdings, daß manche Bonner Politiker und zahlreiche Beobachter viel lieber einen unabhängigen Mann aus der obersten Etage eines Konzerns gesehen hätten als den Berliner Treuhänder. Das macht Rexrodt noch vor seiner Amtsübernahme zum Mann zweiter Garnitur.
Doch das auffälligste an dieser Kabinettsumbildung sind gar nicht die neuen Minister. Es sind die alten Luschen, die bleiben durften, die Ortlebs, Rönschs und Sprangers. Sie können dank Ost-West-, Frauen- und Koalitionsarithmetik weiter im stillen wirken. Der Ruck, der durch Deutschland gehen soll, hält sich deshalb in engen Grenzen. Gerückt worden sind nur ein paar Stühle. Stühlerücken aber reißt keinen vom Hocker. Klaus Hillenbrand
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