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28 Stunden in den Händen der Unita

Eindrücke aus dem neu entbrannten Krieg in Angola/ Zehntausende Tote, ethnischer Haß und keine Aussicht mehr auf Frieden/ „Schlimmer als alles, was Angola bisher erlebt hat“  ■ Aus Canjela Willi Germund

Die menschenverlassene Asphaltstraße zwischen kilometerlangen Hainen von Ölpalmen endet ohne Vorwarnung – an einer gesprengten Brücke über den Rio Balombo, wo eine verlassene facenda mit himmelblauen Mauern steht. Drei Männer in abgerissenen Uniformen springen hinter dem Haus hervor, legen an und schießen. Sie treffen nicht – und nach ein paar spannungsgeladenen Minuten beruhigen sich die drei jungen Kämpfer in grünen T-Shirts mit Savimbi-Fotos auf der Brust auch wieder. Unverhohlene Enttäuschung überzieht die Gesichter dieser Guerilleros von der bewaffneten angolanischen Oppositionsbewegung Unita, während sie unseren Wagen vergeblich nach Einschußlöchern absuchen.

Der Rio Balombo, 470 Kilometer südlich von Angolas Hauptstadt Luanda, bildet auf der Küstenstrecke in die Stadt Lobito eine der vielen Fronten, die Angola seit Wiederbeginn des Bürgerkrieges zerteilen. Ein paar verkohlte Marktstände, ein zerschossenes Haus und leere Lehmhütten – das ist der Ort Canjela an der Grenze zum terra libre de Angola, wie Soy das von der Unita kontrollierte Gebiet nennt. „Die Dorfbewohner sind wegen des Krieges in die Berge geflohen“, erklärt der 44jährige lokale Chef der Rebellen.

Die Adobe-Hütten sind neu, eine Lehmhütte ist halbfertig: Canjelas einstige Bewohner hatten sich nach Jahren des Krieges auf eine ruhigere Zukunft vorbereitet. Statt dessen erlebten sie wie die meisten Angolaner, was Vincent Nicod vom Internationalen Roten Kreuz in Luanda so beschreibt: „Der augenblickliche Krieg ist schlimmer als alles, was Angola bisher erlebt hat.“ Und das war schlimm genug. 16 Jahre dauerte der Krieg, in dem Kubaner und Sowjets die linksgerichtete MPLA-Regierung unterstützten, Südafrika und die USA der Unita mit Waffen halfen. Als der Bürgerkrieg im Mai 1990 mit einem Waffenstillstandsabkommen beendet wurde, waren eine halbe Million Menschen ums Leben gekommen.

Die Spuren des neuen Krieges sind in Canjela unverkennbar. In den Hütten der geflohenen Bewohner haben sich die Unita-Kämpfer eingerichtet. Soy tagt mit vier Gefährten im Schatten eines Strohdachs. Frauen waschen und kochen nebenan. Ein paar junge Leute haben ihr Sturmgewehr mit dem bloßen Bajonett in die Erde gerammt und lungern vor einem Kassettenrecorder herum. Eine Nähmaschine im Gebüsch dient einem Wachposten als Lehnstütze.

„Wir sind betrogen worden, die Regierung will keine Demokratie“, wiederholt Soy die offizielle Unita-Begründung für den Wiederbeginn des Krieges. Von Kriegsmüdigkeit ist bei dem 44jährigen mit dem vernarbten Gesicht und dem gespaltenen linken Ohr nichts zu spüren: „Wir werden so lange kämpfen, wie es nötig ist.“ Die Unita besetzte weite Teile Angolas, nachdem ihr Führer Jonas Savimbi im September 1992 seine Wahlniederlage nicht hinnahm. Seit Anfang Januar versucht nun die Regierung, die Kontrolle über die wichtigsten Städte zurückzuerobern. Über die Zahl der Toten gibt es keine verläßlichen Angaben. Sie könnte in die Zehntausende gehen.

Der Kriegsverlauf ist völlig undurchsichtig geworden, seit die Vereinten Nationen und das Internationale Rote Kreuz ihre Vertreter aus den umkämpften Gebieten abgezogen haben. „Delta“, wie Soy im Sprechfunkverkehr mit Codenamen heißt, setzt dreimal täglich eine gleichlautende Meldung ab: an seinem Teil der Front sei alles ruhig, und was solle er mit den unverhofft hereingeschneiten Journalisten machen?

Soy ist der einzige, der sich mit den Besuchern unterhält. Es braucht einige Zeit, bis er sein Mißtrauen ablegt – doch dann explodiert es förmlich aus ihm heraus: „Gegen uns wird ein Stammeskrieg geführt. Die Regierung will uns liquidieren.“ Einen ähnlichen Satz von Unita-Führer Savimbi wiederholt der Rebellenrundfunksender „Schwarzer Hahn“ alle 30 Minuten.

Etwa 37 Prozent der neun Millionen Angolaner sind wie Savimbi Angehörige des Ovimbundu-Volkes. Der Unita-Chef, der seit der Wahlniederlage auch in den eigenen Reihen unter Druck steht, hofft mit dem Argument des „Stammeskrieges“, dringend benötigte Unterstützung zu mobilisieren. Die Propaganda fällt bei den Ovimbundus auf fruchtbaren Boden: immer wieder mußten sie in der Geschichte Angolas als Sklavenarbeiter herhalten; Ovimbundus bilden den größten Teil der verarmten, von protestantischen Missionaren beeinflußten Landbevölkerung – während die regierende MPLA viele Anhänger bei der städtischen Mittelklasse besitzt.

Alt gegen neu, urbanisierte Angolaner gegen Landbewohner; ein Savimbi, der nach seiner Wahlniederlage mit Gewalt an die Macht will; eine Regierung, die ihren Wahlsieg als Rechtfertigung für die Militäroffensive benutzt – das ist Angolas neuer Bürgerkrieg. Für Soy in Canjela zählt nur eines: „Die wollen alle umbringen, die Ovimbundu sprechen.“

Der Unita-Rundfunksender seinerseits hatte schon im Wahlkampf verkündet, Weiße und Mulatten würden aus dem Land gejagt. Und seit Anfang Januar macht die Rebellengruppe ernst: in Catumbela, zwischen den Hafenstädten Benguela und Lobito, wurden systematisch Mestizen massakriert. Zuvor hatten die Rebellen bei ihrem Rückzug aus den beiden Städten alle Bewohner umgebracht, die sie MPLA-Sympathien verdächtigten.

Die Gegenseite stand dem nicht nach. Nach der Rückeroberung Benguelas überschüttete die Polizei einen Lastwagen voller Unita- Anhänger mit Benzin und zündete ihn an. Das Fahrzeug brannte zwei Tage. Besitzer von Autos nordamerikanischen Fabrikats waren ihres Lebens nicht mehr sicher. Der Grund: die USA hatten der Unita vor den Wahlen Hunderte von Wagen geschenkt.

Etwa 2.000 Menschen starben in Benguela. In Lobito, wo rund 3.000 ums Leben kamen, machen Mitglieder der zivilen Miliz in den Armenvierteln immer noch Jagd auf Unita-Anhänger, meint Soy im 91 Kilometer entfernten Canjela: „Unsere Leute werden dort weiter massakriert.“

Zusammen mit mehreren anderen Unita-Einheiten kontrolliert Soys Gruppe die Landverbindung von Angolas Küste in die heftig umkämpfte Stadt Huambo im zentralen Hochland. Die Küstenstraße ist vermint – viel zu tun haben die Unita-Kämpfer in diesem Frontabschnitt nicht. Soy geht erst einmal mit seinen Gefährten auf die Jagd, weil die Fleischvorräte ausgegangen sind. Die Journalisten müssen warten.

Nach mehr als 28 Stunden meldet sich schließlich Unita-General Anteres. Die Journalisten dürfen in die Hauptstadt zurükkehren. Sie werden an die zerstörte Brücke gebracht. Plötzlich gilt auch das Fotografierverbot nicht mehr: „Nehmen Sie den verbrannten Markt auf“, drängt Soy. Er sei von den ninjas, der Elitepolizeieinheit der Regierung, angezündet worden, seine Besitzer ermordet. Ob die Geschichte stimmt?

Luftkämpfe im Norden

Luanda (AFP) – Angolanische Regierungstruppen haben gestern eine Luftoffensive gegen Unita- Kämpfer eingeleitet, die am Montag die nördliche Küstenstadt Sovo umzingelt hatten. Mitarbeiter ausländischer Firmen wurden aus der Stadt, in der mehrere Niederlassungen ausländischer Erdölunternehmen liegen, auf Schiffen evakuiert. UNO-Versuche, ein Treffen der Konfliktparteien zu vermitteln, sind derweil gescheitert.

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