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Wettbewerb der Rekorde

Bebauungs-Wettbewerb zum Regierungsviertel: Eine Jury prüft seit gestern die 846 eingereichten Entwürfe  ■  Von Rolf R. Lautenschläger

Berlin. Die schon fast neurotische Neigung der Berliner zu Superlativen erhält seit dem 20. Januar neue Nahrung, starteten doch gestern die Jury-Sitzungen zum „Städtebaulichen Wettbewerb Spreebogen“ – für unser baldigstes und schönstes Regierungsviertel. Bereits die versandten Auslobungsunterlagen waren Legion: Mehr als 1.900 Architekturbüros aus über fünfzig Ländern forderten die Ausschreibung von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung an. Abgegeben wurden im Oktober 1992 noch 846 Entwürfe, bestehend aus je vier Plänen nebst selbstgebastelten Modellen, mit Vorschlägen zu dem 72 Hektar großen Gelände zwischen Lehrter Bahnhof und Sowjetischem Ehrenmal. Die Multiplikationen überschlugen sich weiter: Denn in einem „Vorprüfungsbericht“ listeten 50 VorprüferInnen auf über 1.500 Seiten die Arbeiten nach städtebaulichen Leitlinien und Baumassen auf und beschrieben verkehrliche und ökologische Lösungen. Die Pläne für das Bundeskanzleramt, die Fraktionsbereiche und die Bundespressekonferenz hängen nun in rund 200 Kojen in drei Etagen des ehemaligen Staatsratsgebäudes am Marx-Engels- Platz. Um alle Entwürfe zu begutachten, müssen die Prüfer mehrere tausend Meter zurücklegen.

„In zwei Sequenzen, von 20. bis 24. Januar und vom 15. bis 18. Februar“, kommentiert Wolfgang Süchting, Wettbewerbsleiter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, das Procedere, „werden 19 Fachpreisrichter und 15 bis 18 Sachpreisrichter, darunter die Bundestagspräsidentin, die Bundesbauministerin, der Regierende, Senatoren und Bundestagsabgeordnete nach einer Ortsbesichtigung das Auswahlverfahren beginnen.“ In „Informationsrundgängen“ werden die Arbeiten „gruppenweise“ begutachtet, weil „alles von allen gar nicht zu bewältigen ist“, so Süchting. Immerhin müsse jedes Jurymitglied in der ersten Runde „mindestens 200 Entwürfe“ anschauen.

Nach dem Taxieren, Bewerten, und Manövrieren könnten am Ende der ersten Sequenz rund 100 Arbeiten übrigbleiben, die in der zweiten Runde erneut zur Diskussion stehen. Das Mammutprogramm würde sich zuspitzen, gelangten viel mehr Entwürfe – also 200 oder 300 – in die zweite Sitzung. Möglich sei das darum, verriet Süchting, weil eine überwältigende Anzahl unterschiedlichster Ideen eingegangen ist: „Vom 600 Meter hohen Turm bis zur totalen Überbauung“ sei alles dabei, schwelgte der Senatsplaner in Superlativen.

Das Ergebnis wird am 20. Februar gemeinsam mit der Entscheidung zum Umbau des Reichstags mitgeteilt werden. Es ist schwer vorstellbar, daß das Megaprogramm mit einem schlußendlichen Sieger aufwartet. Geschweige denn wird es an Vorschlägen zur Überarbeitung mangeln. Diese dürfen nicht nur von fachlicher und politischer Seite einfließen – sondern müssen auch die öffentliche Diskussion berücksichtigen. Ein demokratisches Forum verträgt keine schnellen und einsamen Entscheidungen.

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