Unter das Existenzminimum gedrückt

■ Arbeitslose protestieren gegen das Bonner Sparpaket / Hamburg geht mit 57.000 Arbeitslosen in die Rezession

/ Hamburg geht mit 57000 Arbeitslosen in die Rezession

Mit einem symbolischen Kohlkopfessen und einer „Lichterkette ohne Licht“ vor dem Arbeitsamt Mitte haben gestern abend auch in Hamburg mehrere hundert Menschen gegen die jüngsten Bonner Sparmaßnahmen protestiert. „Es reicht, das Ende der Fahnenstange ist erreicht“, sagte Helmuth Diekwisch vom Arbeitslosenzentrum des DGB am Besenbinderhof. Man habe ein Jahrzehnt des Sozialabbaus hinter sich. Der Aufschwung Ost könne nicht länger nur zu Lasten der sozial Schwachen gehen.

Besondere Sorge bereitet dem Geschäftsführer des „Vereins zur Betreuung von Arbeitslosen und Arbeitslosenselbsthilfegruppen“ die Tatsache, daß Hamburg mit einem Sockel von 57000 Arbeitslosen in die Rezession geht. 1982 seien es nur 23000 gewesen. Vor diesem Hintergrund seien die 10. AfG-Novelle und die Kürzungen von AB- Maßnahmen fatal. Diekwisch: „Es ist erwiesen, daß sich AB-Maßnahmen zu 90 Prozent rechnen.“ Die Ausgaben kämen über Sozialbeiträge und Konsum wieder rein.

Nicht hinzunehmen sei die angedrohte Kürzung der Arbeitslosenunterstützung um drei Prozent. Bei einer durchschnittlichen Arbeitslosenhilfe von 1000 Mark bedeute dies für viele Leistungsempfänger ein Abrutschen unters Existenzminimum. Wo das liegt, das hat der Gesetzgeber zuletzt bei den Freibeträgen für Pfändungen festgelegt. Demnach braucht eine alleinstehende Person mindestens 1220 Mark zum Leben.

In Hamburg bezogen im Dezember '92 21908 Menschen Arbeitslosengeld und 16778 Arbeitslosenhilfe. Die restlichen der insgesamt 57518 offiziell arbeitslos Gemeldeten bezogen entweder Sozialhilfe oder lebten vom Geld des Partners. Durchschnittlich lag das Arbeitslosengeld bei 1453 Mark, die Arbeitslosenhilfe bei 1084 Mark. Für Arbeitslosengeld gibt es keinen Mindestsatz. „Nicht wenige bekommen nur 50 Mark die Woche“, sagt Arbeitsamts-Sprecherin Eisenhut. Sie müssen Sozialhilfe beantragen. Der Regelsatz von 509 Mark muß reichen für Essen, Körperpflege, Strom, Telefon und was der Mensch noch so braucht. Helmuth Diekwisch: „Am 18. des Monats ist das Geld alle.“ Der Andrang beim wöchentlichen Frühstück im Arbeitslosenzentrum sei groß, „weil die Menschen Hunger haben“.

Doch noch ist nicht sicher, ob es tatsächlich zur Kürzung beim Arbeitslosengeld kommt. Wenn bis Mai sichergestellt wird, daß bundesweit eine Milliarde Mark durch

1Verringerung des Mißbrauchs gespart wird, entfällt die Sparmaßnahme. Ob dies gelingen könnte, steht dahin. In Hamburg wurden 1991 insgesamt 17000 „illegale Leistungsbezieher“ enttarnt, die

1zusammen 5,6 Millionen Mark zuviel Stütze kassiert hatten. Die meisten Leistungsempfänger, die parallel arbeiten, fliegen durch einen Datenabgleich mit den Krankenkassen auf. Bundesweit kamen

11991 so 150 Millionen Mark zusammen. Die Grenze von einer Milliarde scheint willkürlich gewählt. 1994 sollen auf diese Weise sogar drei Milliarden eingespart werden (siehe überregionaler Teil). kaj