Sanssouci: Nachschlag
■ Freya Klier las in Köpenick
Das Erziehungssystem der DDR – völlig zusammengekracht ist es bis heute nicht. Wie sollte es auch: Neue Lehrer sind nicht aus der Luft zu greifen; die meisten alten haben verinnerlicht, nach starren Regeln zu funktionieren und eine Doktrin zu vermitteln. Die Lieblingsübung von Lehrern auf dem Weg zum Beamten sei die Suche nach reizarmen Themen, berichten ostdeutsche Schüler. Die pathologische Scheu vor Auseinandersetzung ist kein Novum. Jetzt aber stecken die Lehrer in der Klemme, wenn es dennoch Streit gibt: Die verbindlichen Verhaltensregeln, an denen sie sich festhalten konnten, gibt es nicht mehr.
Die Analyse der Regisseurin und Publizistin Freya Klier zum Schulwesen der DDR „Lüg Vaterland“ erschien bereits im Frühjahr 1990, es ist mittlerweile zum Standardwerk avanciert. Die Autorin wird, entgegen den üblichen Gepflogenheiten des Buchmarktes, noch ziemlich häufig eingeladen, daraus zu lesen; zuletzt am Mittwoch vom Köpenicker „Bildungswerk Kultur“. Die Schulen und sogenannten „Kindereinrichtungen“ in der DDR entwickelten sich nach 1945 von reformpädagogischen Experimentieranstalten zu Trutzburgen, in der die pseudosozialistischen Spielregeln geübt und angewandt wurden. Im Bildungswesen wurde nach Verschwörungsprinzipien regiert, schreibt Klier: Eine eingeweihte Clique bestimmt die Richtung. Um dieses Machtzentrum herum gruppiert sich ein gutinformierter „Pufferrayon“ – die restlichen Beteiligten werden zum Funktionieren ausgebildet, ohne am Herrschaftswissen teilzuhaben.
Bei früheren Lesungen provozierte die vernichtende Bilanz heftigen Protest: Lehrer, die sich persönlich angegriffen fühlten, taten das Buch als eine Art Erlebnisbericht ab, zu stark sei es von der Biographie der Autorin geprägt. Nicht so in Köpenick: Es sind kaum Lehrer gekommen. Zudem beschwichtigt Freya Klier, noch bevor sie überhaupt zu lesen beginnt. Sie wolle die Lehrer nicht verantwortlich machen, sondern lediglich das System enttarnen. Das ist vorbeugende Taktik, die verhindert, daß empfindliche Seelen zum Zwecke des Selbstschutzes eine Jalousie herunterrattern lassen. Daß das System nur funktioniert hat, weil die bestallten Staatsgehilfen getreulich funktioniert haben, steht im Text des Buches: Ex-Kolleginnen wechseln vor einer geschaßten Lehrerin die Straßenseite, beschimpfen sie als „Kapitalistenschlampe“ – „Das war freiwillig“. Klier liest es vor; in der Diskussion ist nicht mehr die Rede von aggressiven Minifunktionären und von der Rolle staatstragender Feigheit. Die ansonsten streitlustige Autorin bleibt diplomatisch.
Erziehung in der DDR hat Freya Klier zu Recht als „Schlüssel zum Verständnis“ der ostdeutschen Gesellschaft beschrieben. Aber die bildungspolitischen Reformen sind bisher nur halbherzig. Das einzige, was sich tatsächlich erneuert habe, seien unwichtige Strukturen, sagt Klier. Sie vergleicht die Situation mit der nach 1945. Eine Möglichkeit wäre gewesen, daß Lehrer ihren Schülern anhand der eigenen Biographie vermitteln, wie eine Diktatur funktioniert. „Aber der Zug ist abgefahren“, sagt Freya Klier. Friederike Freier
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