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Vom dicken Nebel einer Yijing- Esoterik durchweht-betr.: "Orakel, Logik, Schlaf", taz vom 4.1.93

betr.: „Orakel, Logik, Schlaf“, taz vom 4.1.93

Was die rezensierten Yijing-Apologeten über das „Buch der Wandlungen“ und seine Beziehungen zur Computerei, zur DNS, Chaosforschung etc. berichten, hat mit den historischen Fakten nicht viel zu tun, und insofern tragen die referierten Titel entgegen ihrem Anspruch durchaus zur weiteren Mystifizierung des Yijing bei. Hier einige Punkte:

–Die Hexagramme des Yijing bauen sich aus zwei Elementen, der genetische Code aber aus vier Elementen auf. Die mögliche Zuordnung der 64 Hexagramme zu den 64 Dreierkombinationen der vier Aminosäuren ist daher rein äußerlich. Von einer „Isomorphie“ kann keine Rede sein, und alle weitergehenden Spekulationen entbehren der Grundlage.

–Ausgegrabene Knocheninschriften bezeugen, daß die Entwicklung des Schafgarbenorakels zur Shang- Zeit (bis 11.Jh. v. Chr.) noch nicht abgeschlossen war; in der Sinologie wird allgemein davon ausgegangen, daß der Grundtext des Yijing, also die Orakelsprüche, ab dem 7.Jh. v. Chr. in annähernd der heutigen Gestalt vorlag. Die Entstehung der übrigen Textteile zog sich bis in die Han-Zeit (um Chr.Geb.) hin. Der Text ist daher nicht 5.000, sondern 2.000 bis 2.700 Jahre alt.

–„Was die Schöpfer des I Ging intendierten“, ist nicht überliefert. Alle diesbezüglichen Aussagen sind spekulativ. Die frühesten Berichte über die Praxis des Schafgarbenorakels wie auch der Wortlaut der Orakelsprüche selbst lassen allerdings erkennen, daß das Interesse zur sogeannten Chunqiu-Zeit (722-481 v. Chr.) eben jene „Wahrsagerei“ im naiven Sinne“ war: Es ging um Vorhersage der Zukunft sowie darum, Rat zu geben. Erst die später hinzugefügte „Große Abhandlung“ entwarf eine Yijing- Philosophie.

–Die Hexagramme wurden erst von Shao Yong (1011–1077) in jene Reihenfolge gebracht, die Leibniz später als Notationsform des binären Zahlensystems ansah. Kein chinesischer Philosoph – auch Shao Yong nicht – hat die Hexagramme je als binäre Zahlen interpretiert. Das Yijing stellt daher kein mathematisches System dar. Hier von „Bio-Computer“ und „Psycho-Computer“ zu sprechen, ist modernistisches Wortgeklingel, geistig nicht unähnlich der rückwärtsgewandten Science fiction eines Erich von Däniken.

Zur geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung des Yijing hat schon Joseph Needham („Science and Civilization in China“, Bd.2, Cambridge 1962, ab S.304) praktisch alles Wesentliche gesagt. Die Werke von K.Walter und F.Fiedeler dagegen, obzwar anregend, sind doch durchweht vom dicken Nebel einer Yijing- Esoterik, die sich geflissentlich um eine historisch-kritische Beschäftigung mit dem Text und um die Ergebnisse neuerer archäologischer Forschung drückt und sich so den Vorwurf gefallen lassen muß, antiaufklärerisch zu sein. Dr.Hans-Wilm Schütte,

Hamburg

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