: Die Markise von Oh!
■ Wie der Archäologe Rolf Gellert in einem Straßencafé in Padua ein wahres Blickduell mit einer schwarzgelockten südländischen Schönheit ausfocht und was dann passierte...
Es war in Padua, als Rolf Gellert, der bekannte Archäologe, nach den Strapazen einer dreimonatigen, insgesamt recht erfolgreichen Ausgrabung in einem Straßencafé bei einer Tasse Cappuccino zum erstenmal wieder sich unter die normalen Sterblichen, wie man so schön sagt, mischte und mit offenen Ohren den fremden und doch irgendwie anheimelnd vertrauten Klängen der italienischen Sprache lauschte, als sein Blick sich mit dem einer am Nebentisch sitzenden, glutäugigen südländischen Schönheit kreuzte, erschauernd zurückschreckte, um, wie es den Mörder nach vollbrachter Tat immer hin zum Schauplatz seines gräßlichen Verbrechens zieht, zunächst unsicher tastend, dann durch den ermunternden Ausdruck in den Augen der Schönen bekräftigt, immer unverschämter in deren Blickfeld vordrang, nach und nach ein wahres Blickduell entspinnend, in dem gleichwohl das Florett der, wie sie später zu Protokoll gab, Florentinerin vom schweren Degenblick Rolf Gellerts nur allzu rasch in die bekannte Ecke getrieben wurde, in der er sich, vom nahegeglaubten Ziel übermütig gemacht, in recht unvorteilhafte Grimassen verirrte, denen sie nur durch pupillenringende Ausbruchsversuche gen Himmel sich zu entwinden verstand.
Als unser Musketier sich anschickte, den augenscheinlich wirkungslosen Attacken seiner Lidaufschläge eine, wenn auch karge, verbale Hilfstruppe beizugesellen, um dem erwünschten Gleichklang der Seelen den nötigen Schwung zu verpassen und mit einer mündlichen Absichtserklärung seinerseits alles paletti zu machen; zu allen diesen Zwecken stieß Rolf also ein kehliges, quasi Adriano-Celentanisches „Ciao – Bella Ciao“ hervor, das die schwargelockte Schönheit mit immerhin unergründlichem Blick quittierte.
In eben diesem Moment delikatester Hoffnungen, in dieses Gespinst grenzüberschreitender Verständigung knallte ausgerechnet der Rolf Gellert überspannende Teil der Markise derart unschön auf ihn hernieder, daß diesem nichts blieb, als unter dem Gewirr von Stoffbahnen und Gestängestreben ein ersticktes „Oh!“ zu entäußern, bevor ihn das Dunkel der Nacht endgültig umhüllte. Nur gut, daß es einen Archäologen traf! Rüdiger Kind
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