Ein Saarland voller Hedonisten

Peter Neururer ist Fußballehrer beim 1.FC Saarbrücken, und er und sein Regent sind auch außerhalb des Stadions ein Herz und eine Seele  ■ Von Josef-Otto Freudenreich

Der Ministerpräsident sitzt bei jedem Heimspiel auf der Tribüne und danach mit seinem Fußballlehrer im „historischen Rodenhof“, einem Edel-Italiener, wo Neururer „den Oskar schon mal anmistet“, wenn er seine Versprechungen für den Verein wieder einmal nicht eingehalten hat. Lediglich die Bodyguards, die seit dem Attentat um ihn herum sind, stören etwas das Schulterklopfen, aber ansonsten seien Oskar, der „Mann des Volkes“ und sein lebensbejahendes Motto „fressen, saufen, vögeln“ voll in Ordnung.

Was will der Mensch mehr? Fußball natürlich, und dafür hat der 37jährige Coach auch noch Reinhard Klimmt. Oskars simply best man ist Präsident der Altherrenabteilung des 1. FC und wäre, wenn es nach Neururer gegangen wäre, heute Chef des chaotischen Vereins, weil „Reinhard der Stärkste ist im Land“. Aber bei der letzten Wahl im Dezember mochte der SPD-Fraktionsvorsitzende nicht gegen Günther Schacht, den früheren CDU-Umweltminister, kandidieren, was ohnehin nicht nötig war, weil Klimmt schon lange die graue Eminenz des Klubs ist. Oskars Vertrauter, erklärt Neururer, „ist eine Vertrauensperson für mich, auch jetzt noch“. Das wiederum ist ihm nicht zu verdenken, nachdem der Trainer in seinen zwei Amtsjahren im Ludwigspark bereits des vierte Präsidium erlebt hat. Klimmt dagegen ist eine Bank im Land.

Selbstverständlich weiß man in Saarbrücken um die sportpolitischen Männerfreundschaften. Wenn Neururer mit seinem Porsche 911 Carrera 2 Targa bei Rot über die Ampel braust, „klatscht die Polizei Beifall“, schmunzelt der diplomierte Lehrer (Deutsch, Geschichte, Sport) und läßt seine Lieblingsgruppe BAP noch etwas lauter heulen. Der hellwache Hedonist, ein Genußmensch wie Oskar, paßt in diesen Landstrich, in dem das laissez faire zur Staatsdoktrin gehört. Peter Neururer ist kein Malocher, der über den Fußball die soziale Leiter hochgeklettert ist wie die meisten seiner Kollegen. Der gebürtige Marler stammt aus gutsituiertem Elternhaus. Der Vater war leitender Angestellter in einem Chemiekonzern und wollte seine beiden Söhne von dem „Proletensport“ Fußball fernhalten, was ihm nur bei Günther gelungen ist, der zum Reiten mit Gert Wildfang gezwungen wurde, obwohl er als Junior über 7.000 Punkte im Zehnkampf geschafft hat. Wie das Familienleben so spielt, hat sich der jüngere Peter durchgesetzt, durfte kicken und auch sonst ein bißchen flippiger sein. Nachdem die brave Phase als Vorsitzender der Jungen Union in Marl überwunden war, zog es den Studenten in den frühen Siebzigern zu antiautoritären Pädagogen wie O'Neill, zu Flower Power, zur jungen Linken in der Tradition von Willy Brandt, Martin Luther King und Mahatma Gandhi. Ein gefühliges Gemisch aus Ideologien und Stimmungen, die Neururer in der Erinnerung als humanen Sozialismus beschreibt. Vorbei, diskreditiert auch durch den Konkurs des real existierenden Sozialismus. Geblieben sind Heinrich Böll und Günter Grass im Bücherregal.

Heute ist Neururer einfach Egoist. Das Maß der Dinge ist das Hier und Jetzt, die Lust am Leben, und dies auf möglichst hohem Niveau. „Chacun à son goût“, erläutert der Fußballehrer, „früher hätte man dazu wohl scheißliberal gesagt“. Die materielle Basis dafür wird in Frankreich von Ehefrau Antje verwaltet, in dem Dörfchen Spicheren, wo Neururer und zehn seiner Spieler steuersparend wohnen. Beim Trainer mit seinen Jahreseinkünften von 675.000 Mark lohnt sich das, weil der französische Fiskus nur neun Prozent abzwackt.

Gelegentlich staunt das Kind aus dem Ruhrpott selbst darüber, wieviel er wert sein soll, wieviel Rummel um ihn, den, pardon „Arsch wie du und ich“ veranstaltet wird. Es ist ja nicht so, daß er der Welt entrückt wäre. Keine Geheimnummer hebt ihn von ihr ab. Er erinnert sich noch gut, daß er „namentlich eine Null war“, daß er als Kicker nie über die Oberliga hinausgekommen ist, gerade mal Trainer bei Rot-Weiß Essen, Alemannia Aachen, Schalke 04 und Hertha BSC war. Und heute ist der zweitjüngste Coach der Liga einer ihrer bestbezahlten. Verrückt, sagt er, völlig verrückt.

Er meint damit die Gesetze der Branche, aber auch die Spaßgesellschaft im ganzen, die einen wie ihn nach oben spült. Kaum einer beherrscht seinen Part in dem großen Stück „Wir alle spielen Theater“ so gut wie Neururer. Er kann das auch besser als sein Gegenspieler Christoph Daum, der diese „Scheinwelt“ zwar auch erkannt hat, sie aber nicht mit der nötigen Spontaneität auszufüllen vermag. Neururer ist unbekümmerter, respektloser, freilich auch noch nicht so lange im Geschäft wie Daum. Der nette Anarchist von der Saar beschimpft seine Präsidialen schon mal als „Idioten, die ihren Mist allein machen sollen“. Der Stuttgarter Kollege würde solche Beleidigungen nicht über die Lippen bringen. Zumindest nicht öffentlich.

Vor diesem Hintergrund sind auch die Spiegelfechtereien zweier Narzißten zu sehen. Wenn Daum einen seiner Kicker (angeblich) auffordert, dem (Saarbrücker Profi) Kostner „aufs Maul“ zu hauen, schreit Neururer auf und ruft nach der hohen Sportgerichtsbarkeit. Wenn Daum die Saarbrücker (angeblich) als „Bauerntrampel“ beschimpft, höhnt der Sohn aus gutem Hause zurück, Christoph, das armer Leute Kind, habe wohl vergessen, woher er komme. Von ganz unten nämlich. Heiße Luft, die nur über uns lastet, weil sie sich in schlagzeilige Buchstaben verdichtet. „Warum dieser Haß?“, fragt dann Sport-Bild scheinheilig.

Doch ebenso wie Daum, der Abschied vom Lautsprecher der Liga genommen hat und versucht, ins Charakterfach überzuwechseln, begreift nun auch sein Erbe die Kurzlebigkeit seiner Luftballons. „Mir reicht's, ich will aufhören mit dem Scheiß“, verspricht der fachlich sehr wohl qualifizierte Neururer, „ich muß jetzt klarmachen, daß ich seriös und konstruktiv bin.“ Intelligent genug dazu ist der Rollenspieler vom Ludwigspark. Die Frage ist nur, wer ihm die Bühne gibt, wenn er zum Saisonschluß Oskars Hofstaat verläßt.