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Im Nebel der „Dritten RAF-Generation“

Drei Autoren gehen verschwörungstheoretischen Neigungen nach: Für die These, daß die Anschläge der RAF in Wirklichkeit auf das Konto einer obskuren Mörderbande gehen, bleiben sie die Beweise schuldig  ■ Von Gerd Rosenkranz

Frage: Was verbindet Julius Cäsar, Adolf Hitler und Alfred Herrhausen? – Antwort: Alle drei sind oder wären beinahe einer Verschwörung zum Opfer gefallen. Und weil die Konspiration schon immer am Steuerrad der Weltgeschichte saß, fordern Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker mehr „Mut zur Verschwörungstheorie“. Über lange 450 Seiten liefert das Autorentrio ein Beispiel dafür, wohin der eingeforderte Theoretiker- Mut, bis zur Neige ausgekostet, führen kann.

Einzige These des Schmökers, der in den Auslagen der Buchhandlungen rasch seinen angemessenen Platz neben den bekannten Geheimdienst-Entlarvungsschinken von CIA bis Mossad erobert hat: Spätestens 1984 hat jene Truppe aufgehört zu existieren, die einst von Andreas Baader und Ulrike Meinhof gegründet wurde, die in den 70er und 80er Jahren mit ihren Anschlägen eine beispiellose innere Aufrüstung der Bundesrepublik auslöste und die – nach bisheriger Interpretation – zuletzt am 1.April 1991 den Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder mit einem gezielten Schuß durchs Fenster seines Düsseldorfer Domizils zur Strecke brachte.

„Falsch“, behaupten die Entdecker des „RAF-Phantoms“ – die Geschichte der „Rote Armee Fraktion“ muß in großen Teilen neu geschrieben werden. Alle Anschläge seit der Festnahme der letzten führenden Mitglieder der sogenannten zweiten RAF-Generation im Herbst 1982 gehen auf das Konto anderer – weshalb die Enthüllungs-Autoren die „RAF“ auch durchgehend zwischen Tüttelchen setzen, wie weiland Springers Rechtspostillen die „DDR“.

Wer sind diese geheimnisvollen Anderen? Der Untertitel des Buchs verspricht eine klare, wenn auch nicht ganz originelle Antwort: „Wozu Politik und Wirtschaft Terroristen brauchen.“ Zuletzt hatte Jutta Ditfurth, 1987 noch als grüne Vorstandsprecherin, mit der Behauptung „Der Staat braucht wieder fast nichts so sehnsüchtig wie den Terror“ die Öffentlichkeit zu Empörungsorgien hingerissen. Daß dieser Staat, „die Politik“ oder „die Wirtschaft“ es selber tun, das allerdings mochte auch die notorische Frankfurter Radikale nicht unterstellen. Und jetzt: Die RAF eine von ganz oben inszenierte Veranstaltung zur Diskreditierung der legalen, linken Opposition im Lande? Zunächst scheint alles darauf zuzusteuern.

Die staatlichen Verfolgungsbehörden verfügen – angeblich – über das Informationsmonopol zu allen Attentaten seit Mitte der 80er Jahre, tragfähige Beweise für die Urheberschaft der RAF gibt es bei keiner der Aktionen, Bekennerschreiben und das Emblem der Gruppe kann schließlich – was niemand bestreitet – jeder nachmachen. Nach den Anschlägen gegen Herrhausen, Neusel, Rohwedder und andere sickerten zudem widersprüchliche Informationen über technische Details der Anschlagsausführung aus dem Sicherheitsapparat, an der Mauer des Celler Knasts schließlich hatte sich der Staat schon 1978 selbst in Terrorismus geübt. Warum also nicht auch woanders?

Gute Opfer, böse Nachrücker

Den Autoren muß irgendwann klar geworden sein, daß die These ein wenig zu grob gestrickt wäre. Würde „die Politik“ regelmäßig die besten der Wirtschaft – neben Herrhausen und Rohwedder, MTU-Chef Ernst Zimmermann und Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts – opfern, nur um eine nicht gerade machtvolle Linke zu diskreditieren? Wohl kaum. Deshalb suchen unsere Autoren nach anderen Feinden der prominenten Opfer. Und sie werden fündig: Alfred Herrhausen, der Chef der Deutschen Bank, machte sich Ende der 80er Jahre mit seinen Initiativen zum begrenzten Schuldenerlaß für die „Dritte Welt“ die US-amerikanischen Großbanken zu Todfeinden. Eine Umsetzung der Pläne hätte gleich mehrere führende Institute jenseits des Atlantiks an den Rand des Zusammenbruchs gebracht, während die Deutsche Bank der ihr von Herrhausen zugedachten Rolle als „Global Player“ erheblich näher gekommen wäre. Also mußte der Mann weg. Auch Treuhandchef und Sozialdemokrat Karsten Rohwedder machte sich bei den auf die marode DDR-Hinterlassenschaft offenbar ganz wilden US-Investoren unbeliebt, weil er sich bis kurz vor seinem Tod gegen die radikalkapitalistische Formel „Privatisierung geht vor Sanierung“ wandte. Auch er mußte dafür mit dem Leben bezahlen, mutmaßen die Autoren.

Ihre aufregenden Thesen versuchen Wisnewski und Co. mit einem einfachen Trick plausibel zu machen: Zwischen den Ermordeten und denen, die an ihre Stelle treten, konstruieren sie eine unüberbrückbare Kluft. Die Killer setzen also ihnen genehme „Charaktermasken“ auf den Platz derjenigen, die nicht in ihrem Sinne funktionieren wollen – ganz so, wie sich das der verschwörungstheoretisch vorgebildete kleine Moritz immer schon vorgestellt hat. Und so wird aus Herrhausen ein global-strategischer Überflieger mit sozialem Touch, aus seinem Nachfolger Hilmar Kopper nicht nur ein blasser Banker, sondern eine selbstgenügsame Null, die gar nicht darauf käme, den Konkurrenten jenseits des Atlantiks auf die Füße zu steigen. Detlev Karsten Rohwedder gerät zum mutigen Sozialarbeiter, stets auf der Seite der vom Kapitalismus geschundenen Ossis, Birgit Breuel dagegen zur kapitalistischen Zentralfigur, Werkzeug des Systems qua Geburt. Denn die frühere niedersächsische CDU-Wirtschaftsministerin erblickte „nicht als Tochter eines Hafenarbeiters“, sondern als Sproß des „Hamburger Geldadels“ die Welt und streicht für ihren Job 700.000 Mark jährlich ein.

Nur mehr selektive Wahrnehmung

Die geheimnisvollen Mordbrenner allerdings, die da angeblich unter RAF-Signet von Zeit zu Zeit ihr Unwesen treiben, verschwinden im Verlauf der 450 Seiten hinter einer zunehmend undurchsichtigen Nebelwand aus Verdächtigungen, Mutmaßungen und Behauptungen. Mal stehen diverse deutsche (BND, BKA, VS) und ausländische Geheimdienste (CIA) in Verdacht, mal wird über die bei Anschlägen stets „gegenwärtigen“ Mobilen Einsatzkommandos spekuliert, schließlich dürfen auch diverse Geheimbünde ungeklärter Couleur und Nationalität nicht fehlen. Nur die einzige, bis heute nachgewiesene und von RAF-Mitgliedern selbst bestätigte Zusammenarbeit mit einem Geheimdienst wird systematisch kleingekocht: die Kooperation mit der Stasi Ende der 70er und in den frühen 80er Jahren. Am Ende bleibt der Leser ratlos.

Das Konstruktionsprinzip jeder Verschwörungstheorie ist das der selektiven Wahrnehmung. In diesem Buch wird es auf die Spitze getrieben. Keine Quelle zu obskur, kein Ereignis zu abwegig, wenn nur ein Indiz für die eigene These daraus geschnitzt werden kann. Die Autoren schrecken dabei – zum Beweis ihrer Mutmaßungen über die Herrhausen-Täter – nicht einmal davor zurück, aus der Hauspostille des amerikanischen Rechtsradikalen Lyndon LaRouche zu zitieren; das ist der Chef jener undurchsichtigen Organisation, dessen Gattin Helga Zapp- LaRouche in der Bundesrepublik der 70er und 80er Jahre ganze Studentengenerationen mit Pamphleten einer „Europäischen Arbeiterpartei“ (EAP) nervte.

Bei ihrer verzweifelten Indiziensuche, geht den drei Autoren der Blick aufs Wesentliche verloren, unterlaufen ihnen Detailfehler am Fließband. Zum Beispiel dieser: Als der Spiegel Gefangenen-Kassiber zitierte, in denen die Inhaftierten verzweifelt versuchten, die Vorbereitungen für einen Anschlag der RAF-Genossen draußen während des Hungerstreiks im Frühjahr 1989 zu stoppen, fragen Wisnewski und Co.: „Was denn nun: auf der einen Seite befehlen ,RAF‘-Häftlinge nach Lesart Spiegel Mordaktionen... Auf der anderen Seite versuchen sie, gerade diese Mordaktionen zu verhindern.“ In der Tat ging es in dem der Gefangenen Eva Haule zugeschriebenen Kassiber um das Timing, den Zeitpunkt eines Anschlags während oder kurz nach dem Hungerstreik. Eine solche Aktion hätte vorzeitig jede Chance, die Zusammenlegungsforderung der Gefangenen zu realisieren, zunichte gemacht. Doch die Autoren wollen beweisen, daß es die RAF nicht gibt, folglich auch keine Kommunikation zwischen drinnen und draußen. Die geheimen Nachrichten aus den Knästen schreiben sie den Geheimdiensten zu. Wie im übrigen auch die Aussagen des „Kronzeugen“ Siegfried Nonne, der die Herrhausen-Attentäter vor dem Anschlag wochenlang bei sich zu Hause beherbergt haben soll.

Daß an der Geschichte, die inzwischen auch von Nonne selbst widerrufen wurde, nichts dran ist, glauben inzwischen (mit Ausnahme einiger Staatsschützer) fast alle, die damit befaßt sind. Auch das grandiose Debakel der Sicherheitsbehörden, die Nonnes sonderbare Einlassungen unbedingt glauben wollten und als ersten Erfolg nach demütigenden Jahren des Fahndungsstillstands feierten, war Gegenstand ausführlichster Berichterstattung und hämischer Kommentare. Doch warum ausgerechnet die letzte Aussage des psychisch labilen, mit Drogenproblemen kämpfenden „Zeugen“ stimmen soll, wonach der Verfassungsschutz Nonnes Erzählungen selbst erfunden und ihn zum Mitmachen erpreßt hat, bleibt schleierhaft.

Als weiteres Indiz für ihre „Phantom-These“ gilt den Autoren die – unbestreitbare – Tatsache, daß die Anschläge der RAF sich auf die Position der legalen Linken hierzulande regelmäßig kontraproduktiv ausgewirkt haben, ganz so, als hätte die Gruppe ihre Attentate auf Herrhausen, Rohwedder von der Qualität der potentiellen Nachrücker abhängig machen müssen. Doch so feinsinnig haben die Untergrundkämpfer der RAF nie zwischen den „Charaktermasken“ des Kapitals unterschieden.

Zu kurz denken die Autoren, wenn sie einfach unterstellen, die Lösung des „Gefangenenproblems“ sei mit jedem Anschlag in immer weitere Ferne gerückt. Schon deshalb sei die in den Bekennerschreiben beschworene Solidarität mit den Genossen in den Knästen unglaubwürdig und eben auch nur Teil der allumfassenden Konspiration. Tatsächlich hat nicht höhere Einsicht die staatliche Seite seit Anfang 1992 animiert, auch politische Lösungsversuche für die Gefangenen zu unternehmen. Maßgeblich war vielmehr der regelmäßige Verlust des Spitzenpersonals und das Scheitern aller Bemühungen, der Metropolen- Guerilla mit dem Mittel der Fahndung beizukommen. (Die quälende Langsamkeit, mit der die neuen Ansätze seit der Aussetzung des bewaffneten Kampfes vorankommen, bestätigt auf fatale Weise die lähmende Wirkung der „Rücknahme der Eskalation“ durch die Untergrundgruppe.)

Warum jetzt auf das bequeme RAF-Cover verzichten?

Die „Phantom“-Autoren mußten es mit der Veröffentlichung ihrer Enthüllungsgeschichte eilig haben. Die RAF selbst drohte ihnen mit ihrem angekündigten Abschied vom bewaffneten Kampf einen Strich durch die Rechnung zu machen – insbesondere mit der sogenannten August-Erklärung, in der die Untergrundgruppe in epischer Breite die Motive für die Anschläge der letzten Jahre und ihre damit verbundenen Fehleinschätzungen ausbreitet. Wisnewski und seine Ko-Autoren ziehen es vor, zu diesem Papier zu schweigen. Sie hätten es sonst ebenfalls den ominösen „Anderen“ zuschreiben und damit den zwanghaften Charakter ihrer Darlegungen erneut unter Beweis stellen müssen. Doch warum sollte die unbekannte Mörderbande nun plötzlich auf das so bequeme und erfolgreiche RAF- Cover verzichten? Vielleicht weil Wisnewski und seine Kombattanten ihnen hart auf den Fersen sind?

So könnten sie es tatsächlich sehen. Denn in ihrem ansonsten rechercheschwachen Buch – es werden fast ausschließlich Zeitungsartikel und angestaubte Enthüllungsschmöker herangezogen – zitieren die Autoren fortwährend eigene Beiträge aus „Monitor“ und einer ARD-„Brennpunkt“-Sendung vom Sommer 1992. Neue Erkenntnisse zur Untermauerung ihrer Thesen oder weitere Recherchen sind seither nicht hinzugekommen. Die Mischung aus Selbstbeweihräucherung und Halbwissen, die den voluminösen Band passagenweise durchzieht, ist nur schwer erträglich.

Wäre das „RAF-Phantom“ nur plump und ärgerlich, könnte man getrost den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten. Doch die Autoren spekulieren nicht ohne Aussicht auf Erfolg auf ein linkes – nicht linksradikales – Publikum und bieten Entlastendes. Die Parole lautet: Die politischen Morde der vergangenen Jahre – einschließlich der gegen den 20jährigen GI Edward Pimental und den Beamten Gerold von Braunmühl – gehen eben doch nicht auf das Konto einer linken Guerilla, sondern auf das einer irgendwie „kapitalistisch“ gesteuerten Killertruppe. Ein Programm zur Stabilisierung einfacher Weltbilder, das die von der RAF und ihren Gefangenen eingeforderte Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte überflüssig macht. Wer verschwörungstheoretischen Neigungen anhängt und sich mit dem „Phänomen RAF“ bislang nur am Rande beschäftigt hat, mag sich trotz alledem am „Phantom RAF“ laben. Alle anderen können sich glücklich schätzen, wenn sie die Lektüre der 450 Seiten ohne bleibende Schäden, vorrangig im Magen- Darm-Trakt, überstehen.

Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber, Ekkehard Sieker: „Das RAF-Phantom – Wozu Politik und Wirtschaft Terroristen brauchen“. Knaur, München, 1992. 12,90DM.

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