Kein Ausbruch aus der Draufschau

■ Oberspielleiter Guy Joosten inszenierte Strindbergs "Der Vater" am Thalia-Theater / Innerhalb eines "väterlichen" Konzeptes gelingt streckenweise packendes Theater

am Thalia-Theater

Innerhalb eines „väterlichen“ Konzeptes gelingt streckenweise packendes Theater

Es gibt junge Regisseure, deren Antriebsmotor es zu sein scheint, besser zu werden als die Alten. Sie wollen nicht rempeln und provozieren, sondern Erfahrungen ihrer Regieväter verdichten, nicht experimentieren und transformieren, sondern psychologisch genau einen Weltmoment homogen erfassen. Guy Joosten, der Oberspielleiter des Thalia, ist ein solcher Fall.

Wenn man seine beiden hiesigen Inszenierungen, erst Tschechovs Möve und jetzt Strindbergs Vater zu Rate zieht, wundert man sich zuerst über die etwas bärtige Liebe zum bürgerlichen Familienfiasko des 19. Jahrhunderts bei einem Mann, dem das Lausbübische noch aus den Augen blitzt. Weit mehr aber vermißt man den Mut, besonders beim Vater, einen Strindberg einmal auf den Kopf zu stellen, so daß sich mit einem lauten Geräusch dessen Gewissenstaschen leeren. Joosten beläßt alles im Rahmen der präzisen Beobachtung, der gewissenhaften Rekonstruktion und einer gemäßigten Interpretation, die Strindbergs Frauenhaß relativiert. Diese formalen Fesseln, die sich Joosten selbst anlegt, verhindern den Ausbruch aus der Draufschau.

Er sucht die Distanz, verwendet das Auge des Therapeuten, um den Krieg der Geschlechter, den Strindberg hier zelebrierte, mit einem versöhnlichen Seufzer in der Vergangenheit zu belassen, als ein Phänomen eines martialischen anderen Jahrhunderts. Joosten inszeniert nicht das Karma des Zivilisationsmenschen, sondern die morbide Schönheit einer abgestreiften Haut.

In diesem Rahmen arbeitet er dann streckenweise hervorragend, ohne einen gewissen Zähfluß im dritten Akt allerdings verhindern zu können. Mit Wolf-Dietrich Sprenger hat er außerdem einen Protagonisten, dem man trotz gewissen Unstimmigkeiten (zwischendrinnen hat man den Narr aus König Lear vor sich und nicht den seelisch zerstörten Rittmeister) gerne seine Zeit schenkt. Dank ihm, seiner Gegenspielerin Elisabeth Schwarz als psychoterroristische Gattin Laura und Agnes Fink als Amme, die den Triumph der weiblichen Finesse über die männlichen Selbstzweifel unfreiwillig zuende führt, findet das Stück seinen Unterhaltungswert.

In dem Bühnenbildzwitter von Rolf Glittenberg, der einfach das Konzept einer Installation des amerikanischen Lichtkünstlers James Turrell übernimmt, die er mit einer schwenkbaren Wand und einigen Stilmöbeln dekoriert, bleibt der Rest des Ensembles diesmal allerdings blaß. Daß Joosten mit Konzentration auf ironische Wendungen viele Lacher fängt, führt außerdem dazu, daß Randfiguren nur an der Oberfläche kratzen und es streckenweise zur gegenseitigen Auslöschung von Tragik und Scherz kommt.

Vielleicht sollte sich Guy Joosten also demnächst einmal vom Väterlichen ab- und den Töchtern und Söhnen zuwenden und einen Stoff inszenieren, der von ihm eine wirkliche Position abverlangt. Till Briegleb