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Mit subversiver Kunst gegen Spekulanten

Die besetzte Kastanienallee 77 im Prenzlauer Berg soll verkauft werden/ Kunst-Mäzen abgesprungen/ Die Künstlergruppe Wawavox ist nun auf der Suche nach eigenen „Investoren“  ■ Von Uwe Rada

Prenzlauer Berg. „Besetzen – Kunst – Erste Hilfe“: Mit einem selbst für Prenzelberger Verhältnisse ungewöhnlichen Spektakel wurde im Juni vergangenen Jahres der Kastanienallee 77, dem ältesten Mietshaus im Bezirk, neues Leben eingehaucht. Inszeniert als gesamtkünstlerische Herztransplantation war es der KünstlerInnengruppe „Vereinigte Farben Wawavox“ mit dieser Besetzung gelungen, die eindimensionalen Reflexe auf solcherlei Subversion zumindest vorerst außer Kraft zu setzen. Tatsächlich besetzt oder nur künstlich? Während Polizei und Wohnungsbaugesellschaft vergeblich in den einschlägigen Handbüchern und Ausführungsbestimmungen blätterten, holten 20 KünstlerInnen die Kastanie aus dem Feuer und brachten die Berliner Linie genüßlich aus der selbigen.

Nun freilich droht der Installation einer „sozialen Skulptur“ der Raumentzug. Die AnwältInnen der jüdischen Antragstellerin sowie der im Grundbuch eingetragenen Eigentümer wollen das denkmalgeschützte, zweistöckige Gebäude aus dem Jahre 1840 gemeinschaftlich verkaufen. Zwar hatten sich die BesetzerInnen mit den AnwältInnen im letzten Jahr darauf geeinigt, mit Hilfe eines Käufers selbst das Gebäude zu erstehen, doch der ausersehene Gönner, ein Frankfurter Baumaschinenhändler, sprang jetzt ab, aus zeitlichen und gesundheitlichen Gründen, wie er wissen ließ.

Obwohl es mittlerweile weitere Interessenten für ein Wohn- und Kunsthaus gibt, unter anderem ein vom Berufsverband Bildender Künstler (BBK) vermittelter Düsseldorfer Kunstfreund, scheinen es die AnwältInnen der Eigentümer plötzlich sehr eilig zu haben. Kurz nachdem die Künstlergruppe am Samstag auf einer Pressekonferenz ihr Dilemma darlegte, platzten zwei beschlipste Kaufinteressenten in die verdutzte Frühstücksrunde. Sie hätten von der Anwältin der Erbin den Tip bekommen und wollten sich jetzt das Objekt mal anschauen, teilten sie überfreundlich mit. Offen blieb, wer nun mehr verunsichert war: die BesetzerInnen über den ungebetenen Besuch oder selbiger über die unerwarteten Bewohner.

„Unser Traum ist es, in den vorderen Gebäudeteilen zu wohnen und die Fabrik als Atelierraum zu nutzen“, umreißt Marion Quaas die Wunschvorstellung der BesetzerInnen. Die Kastanie 77 will sie wie die anderen auf keinen Fall verlassen. „Unser Leben hier, unsere Arbeit und das politische Engagement im Kiez gehören zusammen.“ Kunst ist für Marion Quaas weder elitär noch kommerziell, sondern „der Versuch, eine komplexe Wirklichkeit gestalterisch in Form zu bringen“. Die Spur dieses „kreativen Prozesses“ von Wawavox reicht von der „ersten Mainzer Kunstausstellung“ („Vom Eindruck der Staatsgewalt auf die Netzhaut“) bis zu einer Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildene Kunst unter dem Motto „Von HausbesetzerInnen und anderen BösewichterInnen“. Mit ihrem subversiven Kunstbegriff gibt Wawavox allerdings nicht nur den staatlichen Behörden, sondern offenbar auch den „traditionellen“ Autonomen ein Rätsel auf. „Die einen kritisieren uns als unpolitisch“, grinst Marion Quaas, „und die anderen wollen von uns Ratschläge, wie sie mehr Farbe in ihre schwarze Eintönigkeit bekommen.“

Um sich den erstrittenen Freiraum zu erhalten, wären die BewohnerInnen sogar bereit, aus eigenen Krediten die Kastanie 77 zu kaufen. Ein entsprechendes Angebot von 850.000 DM wurde von den AnwältInnen jedoch schulterzuckend abgelehnt. „Offenbar wollen die das Gebäude nun als reines Gewerbeobjekt verkaufen“, mutmaßt Stefan Vens, einer der Bewohner. Ein von den AnwältInnen in Auftrag gegebenes Gutachten ermittelte jüngst einen Verkehrswert von 1,45 Millionen DM. Dieses Gutachten, schimpft Vens, gehe allerdings davon aus, daß die zu DDR-Zeiten vorgenommene Umwidmung zum Gewerberaum weiterhin gültig sei. Daß es sich bei Vorderhaus, Seitenflügel und Quergebäude dagegen um Wohnraum handelt, ist nicht nur die Rechtsauffassung des Baustadtrats Matthias Klipp (Bündnis), sondern auch des Bau- und Stadtentwicklungssenats. Ob solch bürokratischer Unbotmäßigkeit überrascht, machten sich zumindest die beiden Kaufinteressenten vom Samstag mit der Bemerkung: „Hier steht eh kein Stein mehr auf dem anderen“, frustriert von dannen.

Um im Verkaufspoker doch noch als Sieger hervorzugehen, wurde von den KünstlerInnen nun ein Investorenwettbewerb ausgelobt. Gesucht werden „Investoren und Investorinnen, die ihr Kapital unter Ausnutzung öffentlicher Förderung für sozio-kulturelle Projekte einsetzen und somit im Wandlungsprozeß Berlins ein politisch-kulturelles Gegengewicht bilden“. Wie ein solches Angebot letzlich realisiert werden kann, steht freilich ebenso offen wie die Frage, wie sich die Renditeerwartung auch eines Mäzens mit den Vorstellungen der Künstler unter ein Dach bringen läßt. Vorher wollen die BesetzerInnen jedoch einen Verkauf an unliebsame Kunstbanausen verhindern. In einer Warnung an der Fassade werden potentielle Käufer in bestem Paragraphendeutsch vor unliebsamen Überraschungen gewarnt. Daß diese Herausforderung auch zur Bewältigung der „komplexen Wirklichkeit“ gehört, weiß auch Stefan Vens: „Jetzt fängt der Spaß erst richtig an“, flachst er. Seine Maximalforderung: „Künstlerpech für Spekulanten“.

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