: Nadelstreifen statt Grenzstreifen
Der ehemalige DDR-Kontrollpunkt Drewitz, seit dem Mauerfall der Zerstörung preisgegeben, soll Standort eines Modezentrums werden/ Erhalt wurde nie diskutiert ■ Von Rolf R. Lautenschläger
„In fünf Jahren wird vielleicht niemand mehr erkennen können, daß sich hier einmal der DDR- Grenzkontrollpunkt Drewitz befand“, meint Jürgen Bernhardt, Denkmalpfleger von der unteren Potsdamer Denkmalbehörde. „Ein Konzept zur Erhaltung des Areals wurde nie ausreichend diskutiert. Als Dokumente der Erinnerung wanderten letztlich ein Zollhaus und eine Förderschiene ins Museum für Verkehr und Technik. Das Gelände selbst verwahrlost und wird mehr und mehr verwüstet.“
Daß jedes Bewußtsein für Sinn und Bedeutung der DDR-Kontrollstelle bereits verloren ist, ist augenscheinlich. Kaum mehr als Trümmer und Abrißspuren sind vom einstigen Übergang geblieben. Schleicht man sich auf das verlassene Areal an der Autobahn, so erscheinen einem die Zerstörungen als Steigerung eines Wahns im Zustand des Vandalismus. Die Grenzbauten sind nur noch Ruinen. Trotz der Trümmer ist die Funktion der Anlage nachvollziehbar: Man erkennt die Markierungen auf dem Beton, das enthauptete Stellwerk oder das zersplitterte „Deutrans“-Haus. Eisenstümpfe bilden die Reste der Paßbuden. Die Transportbänder fehlen, ihren Weg zeichnen die Linien des Tropfwassers nach. In Grau folgen die alten Kontrollstellen: aufgerissen, zerfetzt und zerhauen. Ein Meer von zersplittertem Glas liegt unter den LKW-Bühnen. Die letzten Schilder an den offen Eisenhallen halten sich brüchig. Alles wirkt fragil, dazu lassen die Peitschenlampen müde den Kopf hängen.
Die Auflösung dieser Dingwelt aus Eisen und Beton, Plaste und Preßspan könnte noch im Frühjahr durch ihren Abriß beschleunigt werden. Der Verkauf des über 20 Hektar großen Geländes an zwei Investorengruppen soll Ende Januar über die Bühne gehen. Von der Grenzkontrollstelle, die aus dem Vermögen des Bundes unter der Aufsicht der Gemeinde Kleinmachnow veräußert wird, erhält die „Europarc-Thyssen GmbH“ mit dem Gebiet der Abfertigungshallen das größere Stück. Auf dem benachbarten östlichen Gelände plant die Düsseldorfer Messe-Moden-Gesellschaft „Igedo“ einen Standort für die Präsentation und den Verkauf von Mode und Konfektion. „Wenn die Verhandlungen über das Grundstück mit dem Bund sowie der Gemeinde zu einem erfolgreichen Abschluß führen“, hofft Igedo-Geschäftsführer Beier, ist der Baubeginn des Modezentrums „Fashion-House- Brandenburg“ noch in diesem Frühjahr vorgesehen. Mit einer Investition von 50 bis 70 Millionen Mark wird in einem ersten Abschnitt ein vier- bis fünfgeschossiger Bau mit einer Nutzfläche von rund 30.000 Quadratmetern entstehen. Bis 1994 rechnet der Modemacher mit der Fertigstellung des Gewerbebaus.
Das Konzept des „Fashion- House“, ergänzt Beier, sehe einen geschlossenen Baukörper im Stil von Messehallen mit „Show- Rooms“ vor. Hinzu kämen Lager „zur Regionalversorgung, die besonders auf die Bedürfnisse des Modehandels der neuen Länder ausgerichtet“ seien. Der Standort an der Peripherie sei mit Bedacht gewählt und habe „logistische“ und „wirtschaftliche“ Gründe. Der preiswerte Grund und Boden sowie die Anbindung an das Autobahnnetz bildeten ein erstklassiges Angebot für Modehäuser, die sich nicht im innerstädtischen Dickicht aus Verkehr und Standortkonkurrenzen verstricken wollten.
Ebenso wie beim „Fashion- House“ klingen auch die Überlegungen der „Europarc-Thyssen GmbH“ noch wenig differenziert: Die „Europarc-Berlin“ plant nach der Räumung des Geländes ein Technik- und Dienstleistungszentrum, das „kein zugemauertes abgeschlossenes Gewerbegebiet werden wird, sondern offen sein soll“, kommentiert Europarc-Chef Gerald Tschörner das Projekt. „Es sollen rund 6.000 Arbeitsplätze für Wissenschaft und Forschung, Produktion und Dienstleistung entstehen, die mit einem speziellen Wohn- und Freizeitangebot ergänzt werden können.“ Ein solcher High-Tech-Park vertrage keine Monostrukturen. Tschörner: „Wir wollen ein gemischt organisiertes Dienstleistungszentrum an einer verkehrlich günstigen Lage, das in die nahe Umgebung ausstrahlt.“
Indessen, der Europarc wird so „gemischt“ nicht werden: Mitten auf der grünen Wiese gelegen, zerschnitten von einer Autobahntrasse, scheint er mehr der Mobilität und Funktionalität geschuldet als einer städtebaulich vernünftigen Idee – etwa der Ansiedlung auf dem S-Bahn-Ring. Bei der Gemeinde Kleinmachnow, die die Planungshoheit für das Gelände besitzt, gibt es ebenfalls noch Sorgen bei der Größenordnung der Investition – jedoch kein Verständnis für nostalgische Sehnsüchte von Grenzstellen-Liebhabern. Die Vergangenheit ist vorbei, die Asservaten des Grenzübergangs gelten da nur mehr als Widersprüche.
Wolfgang Blasig, Planungsdezernent in der Gemeindeverwaltung, fordert, daß die Projekte „einem städtebaulichen Rahmenplan“ folgen müßten. Die Gewerbe- und Dienstleistungszentren sollten in der Dimensionierung den Charakter und die Struktur der Gartenstadt des kleinen Berliner Vororts berücksichtigen. „Wir sind daran interessiert“, sagt Blasig, „daß die Neubauten zum Ortsgebiet hin niedrig bleiben und erst an der Autobahn ansteigen. Gleichzeitig müssen verkehrliche und ökologische Gesichtspunkte abgestimmt, sprich finanziert werden.“ Die Gemeinde, so Blasig, denke dabei an die Wiederinbetriebnahme der alten Berliner Stammbahn, den Bau von Brückenbauten und an Landschaftsplanungen, deren Entwicklung die Investoren mittragen sollten.
Die Ironie der Geschichte will es, daß „wohl nichts mehr bleibt vom Grenzkontrollpunkt Drewitz“, wie Denkmalpfleger Bernhardt skeptisch anmerkt. Das Gegenüber „Dreilinden“ wurde als Symbol der besonderen politischen Rolle Berlins und als freie Schleuse zum Bundesgebiet unter Denkmalschutz gestellt. Für Drewitz gab es kein Konzept zur Bewahrung. Die Berliner und Kleinmachnower erweisen sich vielmehr als stille Beobachter der Zerstörung. Das wirtschaftliche Entwicklungsprogramm soll Arbeit und Brot bringen. Mit Sicherheit bringt es die Verhängnisse des „Speckgürtels“ und der Zersiedelung mit sich.
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