Hemd auf und Brust raus?

■ Thalia sprengte Allianz zum 60. Jahrestag der Machtergreifung / Kampnagel jetzt mit eigener Aktion

Ursprünglich wollte man etwas Gemeinsames zum 60. Jahrestag der nationalsozialistischen Machtergreifung am 30. Januar veranstalten. Hamburger Kulturinstitutionen aus allen Sparten, unter anderem Fabrik, Thalia, Schauspielhaus, Kampnagel, Markthalle, Abaton, Literaturhaus, Monsun-Theater und Metropolis waren unter der Federführung des Veranstaltungsbüros max-Event übereingekommen, ein zentrales Großkonzert auf dem Rathausmarkt zu veranstalten. Anschließend sollten in den diversen kulturellen Zentren jeweils spezifische Aktionen und Auftritte stattfinden, so daß die ganze Stadt an diesem Datum kulturell gerüttelt und gemahnt werden würde. So der schöne Plan.

Doch während eines ersten Treffens der Beteiligten Ende letzten Jahres stellte sich heraus, daß das Thalia-Theater „lieber sein eigenes Süppchen kochen wollte“, so Michael Batz, Kampnagel-Dramaturg. Die Allianz mit Gruner+Jahr und NDR und die alleinige Veranstalterwürde schien dort höher zu rangieren, als ein gemeinsames Hamburger Konzept, wie es dem Anlaß viel angemessener gewesen wäre.

Da zwei konkurrierende Starauftriebe zum selben Zweck natürlich keinen Sinn machen und das Thalia, so ein Mitarbeiter von max-Event, die „Kommunikation abbrach“, löste sich die vielversprechende Plattform in allseitiger Verwunderung über Flimms Politik auf. Resultat des unverständlichen Alleingangs: Lauter vereinzelte Aktionen, die sich gegenseitig die Zuschauer abklemmen. Manche Veranstaltungen, etwa eine Diskussionsveranstaltung in der Fabrik mit Künstlern und Politkern, mußten mangels Interesse ganz abgesagt werden.

Gegen den vom Thalia definierten Trend zum Hemd-aufreißen- und-Brust-zeigen stemmt sich Batz jetzt mit einer weit weniger spektakulären, dafür lokal verankerten Aktion. Unter dem Titel Deutschland: Mein Wohnzimmer, mein Leichentuch hat er einen „Abend über Leben und Sterben in diesem Aus- Land“, so der Untertitel, organisiert. Beteiligt sind ausschließlich in Hamburg lebende und arbeitende Küstler anderer Nationen, die für diesen Zweck das Art Ensemble Hamburg gegründet haben. Schauspieler, Maler, Musiker, Tänzer und Autoren treffen sich am Samstag (20 Uhr, Halle 6), um mit individuellen Statements ein gemeinsames Problem einzukreisen.

Mariola Brillowska, Claire Le Touzé und andere Malerinnen gestalten ein großes Leichentuch im Hintergrund, Antonio Buckak, Trio Romanes oder Christina Vera Diaz musizieren und Autoren wie Erhan Erdugan oder Najem Wali tragen eigene Texte vor. Moderiert wird die Show, die nur einen Fünfer Eintritt kostet, vom Schauspieler Jirka Zacek, der im Laufe des Abends in diversen Hamburg Nobel-Hotels und im Thalia anrufen wird, um die Superstars des Thalia-Konzertes für ein paar bohrende Fragen an die Strippe zu bekommen. Das Art Ensemble will nun beisammenbleiben und auch in Zukunft gemeinsame Veranstaltungen planen.

Unter dem Titel Deutschland - ein (Alp)Traum veranstalten Literaturhaus und die Hamburger Sektion des Verbandes Deutscher Schriftsteller ein Lese-Abend am 31.Januar (11-17 Uhr). Teilnehmen werden hier unter anderem Arie Goral, Regula Venske, Luis Carvalho, Emina Kamber (die tags zuvor auch bei der Veranstaltung auf Kampnagel liest), Parviz Sadigi, Katharina Höcker, Svende Merian und Gerda Zorn. Till Briegleb