piwik no script img

Wollüstige Tagträume

■ Die Filme von Claudia Schillinger — im Arsenal

Die „Zu Gast“-Reihe des Arsenals stellt junge FilmemacherInnen vor und gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Filme zusammen mit kongenialen Werken oder eigenen Favoriten zu zeigen. Dabei werden nicht nur Einflüsse sichtbar, sondern es wird auch – wie Godard es in der „Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos“ beschreibt – Filmgeschichte „archäologisch“ statt chronologisch geschrieben.

Am heutigen Abend laufen zwei Filme von Claudia Schillinger zusammen mit Tony Richardsons „Mademoiselle“. Claudia Schillinger ist eine Berliner Filmemacherin, die an der Talentschmiede der HdK Braunschweig bei Gerd Büttenbender und Birgit Hein studierte. Ihr Kurzfilm „Between“ hatte vor Jahren auf vielen Filmfestivals einen geradezu spektakulären Erfolg. Der neue Film „In no sense“ wurde vom Hamburger Filmbüro unterstützt und läuft als Berliner Erstaufführung.

Alle drei Filme beschäftigen sich mit weiblicher Sexualität. In „Mademoiselle“ wird sie in die Geschichte (nach Jean Genet) vom sexuellen Verlangen einer französischen Dorfschullehrerin eingebunden, das unbefriedigt bleibt. Mit der Flamme ihrer Leidenschaft zündelt sie Häuser und Scheunen an und öffnet Wasserwehre, um sich an den kräftigen und attraktiven Körpern der Männer bei den Aufräumarbeiten zu weiden. Auf den italienischen Holzfäller Manu hat sie ein lüsternes Auge geworfen. Er ist das Objekt ihres Begehrens und ihres Zerstörungstriebes. Sein Sohn spielt in dieser Tragödie eine besondere Rolle, weiß er doch von Mademoiselles Geheimnis und verrät es aus Liebe nicht.

Claudia Schillinger wählt in ihren Filmen eine assoziative Herangehensweise, bei der die Ebenen von Realität und Traum verwischen. „Between“ (1989) schildert den wollüstigen Tagtraum einer Frau, die einen heißen Sommernachmittag in ländlicher Idylle verbringt. In der sengenden Hitze räumt das Bewußtsein die Stellung für dösige Schwarz-Weiß-Phantasien. Die Stimmung ist lethargisch, der Körper sehr nahe. Man hört ein überdeutliches Fliegensurren und Geräusche von fern vorbeiziehenden Flugzeugen. Äußere Entfernungen und innere Barrieren scheinen aufgehoben; sexuelle Machtvorstellungen sind zum Greifen nahe und drehen den Spieß um.

„In no sense“ (1992) zeigt eine Frau auf dem Bett im Halbschlaf. Die symbolische Geste einer Schamrasur läßt sie in die Erinnerung an ihre erwachende Sexualität als Zehnjährige eintauchen: Dem Alter des Puppenspiels entwachsen, strolcht ein blondes Mädchen suchend durch das Haus. Auf dem Dachboden findet sie das alte Schaukelpferd, das sie so sehr geliebt hat und das Ansporn war zum Dressurreiten. Ihr Vater nimmt sie auf den Schoß. Hoppe-hoppe-Reiter... In der Nachtkonsole neben dem elterlichen Ehebett findet sie Verhütungsmittel und Kleingeld. Als der Vater ein Nickerchen zur Mittagszeit hält, legt sie sich dazu. Er berührt sie zärtlich. Auf dem Dachboden reitet die Kleine das alte Schaukelpferd auf so energische Weise, daß der ganze Raum von dem orgiastischen Wippen zu beben scheint. Den Blick kokett und auffordernd in die Kamera gerichtet: wovon die Frau träumt, als sie auf dem Bett liegend sich von fremder Hand im Halbschlaf streicheln läßt.

Es sind die Töne und Geräusche, die vieles der Intensität und geheimnisvollen Stimmung bergen. Auf subtile Weise tragen sie den seelischen Zustand der Figuren mit. Die fordernde Begierde der Handelnden, und – im Falle von „Mademoiselle“ – ihre Unterwerfung unter ein fatales Verhältnis, schärft ihre Wahrnehmung, die im Tonarrangement ihre Entsprechung findet. Trotz aller überdeutlichen Fragmente lauert in der Geräuschkulisse eine angespannte Stille. Die raffinierte Montage von „Between“ und „In no sense“ verlängert diesen Effekt, wenn sie versucht, blitzhafte und unerwartete Erinnerungsstücke zu strukturieren. Helmut Merschmann

„Zu Gast: Claudia Schillinger“ im Arsenal: Freitag, 29.1., 22.15 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen